Vor neun Jahren stießen Wanderer in den verschneiten Bergen Zentralnorwegens auf eine 1700 Jahre alte Wolltunika. Archäologen forschten nach – und präsentierten jetzt aufsehenerregende Ergebnisse.
Der Rückzug eines abschmelzenden Gletschers in Norwegen hat einen Bergpfad aus der Wikingerzeit freigelegt – komplett mit hunderten gut erhaltenen Artefakten, die entlang des Passes verloren gegangen oder zurückgelassen worden waren.
Laut einer von der Cambridge University Press veröffentlichten Studie handelt es sich bei dem seit mehr als 500 Jahren vergessenen Weg um eine Handelsroute der Wikinger, die möglicherweise über Hunderte von Jahren genutzt worden war, um Waren von Butter bis hin zu Rentiergeweihen zu den weit entfernten europäischen Märkten zu befördern, wie britische und US-Medien berichten.
"Eine Traumentdeckung für uns Archäologen"
Der Pass in der gebirgigen Zentralregion Norwegens sei erstmals 2011 von lokalen Archäologen entdeckt worden, nachdem man dort eine Wolltunika gefunden hatte, die später auf das dritte oder vierte Jahrhundert nach Christus datiert wurde, schreibt der britische "Guardian". Seither habe sich das Eis immer weiter zurückgezogen und eine Fülle von Artefakten freigelegt, darunter gestrickte Fäustlinge und Schuhe. Der Großteil der Funde stamme aus der Zeit um 1000 nach Christus, also aus der Wikingerzeit, als Handel und Mobilität in der Region auf ihrem Höhepunkt waren.
"Ein verlorener Bergpass, der aus dem Eis schmilzt, ist eine Traumentdeckung für uns Archäologen", zitiert der US-Sender CNN den Studienautor und Co-Direktoren des Forschungsprogramms Lars Pilø. Auf solchen Pässen hätten frühere Reisende viele von Menschen hergestellte Gegenstände hinterlassen, die mit der Zeit im Eis eingefroren seien. "Diese unglaublich gut erhaltenen Artefakte aus organischem Material haben einen großen historischen Wert."
Unter den Fundstücken sind den Berichte zufolge Hufeisen, ein Schneeschuh für ein Pferd, Knochen von Packpferden, ein kleines, aus Holz gedrechseltes Gebiss für ein Lamm oder eine Ziege, Schlittenfragmente, ein mit Runen beschrifteter Spazierstock, ein Messer mit Holzgriff, Pfeile, an denen noch Federn befestigt sind, ein Behälter aus Birkenrinde, eine Holznadel, eine Zunderschachtel, ein Holzbesen, ein Spinnrocken, das ist ein Werkzeug, mit dem Wolle von Hand gesponnen wurde, Rentierpelze und Geweihe und sogar ein Ski aus der Bronzezeit.
Zu den bemerkenswertesten Gegenständen gehören laut CNN blaue Überreste von Textilien, ein Wikingerhandschuh, Lederschuhe und eine komplette römische Tunika aus der Eisenzeit. Einige Gegenstände hätten die Wissenschaftler noch nicht identifizieren können, weil es nichts gäbe, mit dem sie es vergleichen könnten.
"Schmerzliche Erinnerung an den Klimawandel"
Darüber hinaus habe das zurückweichende Eis auch Infrastruktur freigelegt wie Steinhaufen, die Reisende durch den Nebel geleitet hätten, oder die Überreste eines kleinen Unterstandes, berichtet der "Guardian". Andere Funde seien Produkte, die von lokalen Bauern zu und von ihren Sommerweiden transportiert worden seien, wie Milchprodukte und Futter.
Die Funde seien auch eine "schmerzliche und aufrüttelnde Erinnerung an den Klimawandel", sagte der Archäologe James Barrett von der Universität Cambridge, der seit 2011 mit norwegischen Kollegen an dem Projekt arbeitet, dem "Guardian". Es handele sich hier um Artefakte, die vor etwa 1000 Jahren tiefgefroren und jetzt wieder aufgetaut seien.
Aufgrund der großflächigen Schmelze im Jahr 2019 sei der größte Teil des Eises mittlerweile verschwunden, weshalb es bald nichts mehr geben werde, was man entdecken könne, erklärte Barrett. "Auf der anderen Seite gibt es in [diesem Teil Norwegens] in den Höhenlagen viele Eisflächen, so dass es immer eine weitere geben wird – vorerst."
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