Rassistische Sprüche, Sex-Zoten oder Nazi-Jargon von Onkel Heinz sollte sich auch an Weihnachten niemand stillschweigend gefallen lassen. Ein Plädoyer für den Familienstreit.
Es gibt wenige Tage im Jahr, an denen so viele verschiedene Generationen und politische Meinungen aufeinandertreffen wie an Weihnachten. Älteren Familienmitgliedern mit noch älteren Rollenbildern und einem betonierten Weltbild sitzen faule Studierende, Azubis und Schüler gegenüber, die sich vor allem wegen des reich gedeckten Tisches an diesen bequemt haben. So zumindest die klischeebehaftete Version der modernen Weihnachtsgeschichte.
Vielerorts droht an Heiligabend die Gefahr, dass über Gans und Glühwein die Familien-Diskussionen eskalieren, weil alt und jung, rechts und links, woke und reaktionär aufeinandertreffen. Debattiert wird dann meist über Themen, die vor allem von den konservativen Familienmitgliedern aufgebracht werden: Klimakleber, Genderstern, Cancel Culture oder die lackierten Fingernägel des Neffen.
Gerade junge Menschen verkneifen sich bei solchen Debatten oft eine engagierte Widerrede. Sei es, um die Besinnlichkeit zu wahren oder aus Angst davor, die Autorität von Eltern oder Großeltern anzukratzen. Meist aber aus dem wohl nicht ganz unberechtigten Gefühl heraus, dass Widerspruch nicht zwangsläufig irgendeine Art von Reflektion beim Gegenüber auslöst.
Schweigen heißt Zustimmung
Doch solch vornehme Zurückhaltung führt in der Regel in eine Sackgasse. Es ist wichtig anzuerkennen, dass die eigenen Bedürfnisse nicht weniger wert sind als die Stammtischparolen von Onkel Heinz. Denn Schweigen wird von ihm und seinesgleichen in der Regel als stille Zustimmung gewertet, was wiederum toxische Strukturen weiter festigt. Wir sollten es besser machen als all die Kneipenkumpel, Arbeitskollegen und Lebensgefährten, mit denen es unsere Verwandtschaft an den restlichen 364 Tagen im Jahr zu tun hat.
Zeigen wir ihnen, dass nicht jeder seine Meinung zur Migrationspolitik aus der anekdotischen Evidenz eines Besuchs der nächstgelegenen Fußgängerzone herleitet. Widersprechen wir ihnen, wenn ein Gespräch damit beendet wird, dass früher alles besser war. Fordern wir die Männer zum Abwasch, wenn die Care-Arbeit mal wieder an den Frauen der Familie hängenbleibt.
Raus aus der Bubble
Klar, die meisten Menschen haben keine Lust, sich ausgerechnet an Weihnachten mit Opa, Enkel oder Schwägerin anzulegen. Aber: Es nicht zu tun, würde genau denen das Feld überlassen, die sich mit ihren Meinungen besonders laut und weit aus dem Fenster lehnen.
Ein weiteres Argument für den engagierten Familienstreit: Gerade Debatten außerhalb der eigenen politischen Bubble können wertvoll sein. Es sind genau diese seltenen Gespräche, die mehr Verständnis für die andere Seite hervorbringen, andere Blickwinkel aufzeigen und vielleicht sogar Spaß machen können. Zumal rund um den Weihnachtstisch in der Regel Menschen zusammenkommen, die einander ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringen, was der Phonstärke der Debatte gut tun sollte.
Anstatt einfach zu nicken und eventuell ein bisschen schneller den Heimweg anzutreten, könnte Weihnachten in diesem Jahr die perfekte Gelegenheit sein, der Familie Paroli zu bieten. Merke: Man selbst ist niemandem ein besinnliches Fest schuldig, wenn dieses eine Familienmitglied mal wieder "so ist, wie es eben ist".
Und was denken Sie daran ?