Junge geflüchtete Männer, die hier leben, arbeiten und sich einfach mal verlieben wollen, haben es verdammt schwer, findet Sophia Lierenfeld. Mit Improvisationstheater will sie ihnen nun das Flirten beibringen und sie ihre Männlichkeit entdecken lassen.
Angstschweiß hängt schwer in der Luft, überhaupt ist der Sauerstoffgehalt in dem runtergerockten Probenraum definitiv zu gering. Das hält die acht Männer und vier Frauen nicht davon ab, voller Inbrunst zu grunzen, zu bellen, zu schreien: Arschloch! Idiot! Wichser! Habibi! Liebling! Schatz!
Hassverzerrt. Allerliebst. Sophia Lierenfeld, 28, hat die Teilnehmer dazu angestiftet. Den Kurs "Improv without Borders" hat sie erfunden: Geflüchtete, Zugezogene und Einheimische spielen zusammen Improvisationstheater und erzählen einander so ihre Geschichten. Inzwischen probieren sie hier auch im Spiel, wie man flirtet – damit kennt sich Sophia Lierenfeld aus. Für den Kurs hat sie einen Raum im Theaterhaus gemietet, einem charmanten Plattenbau in Berlin-Mitte.
Anfangs ging es nicht ums Flirten
Anfangs ging es Sophia hier gar nicht ums Flirten, im Gegenteil. Zum ersten Treffen kam sie in unförmigen Jeans und einem XL-Shirt. Für sie, die sonst enge Kleider mit tiefem Ausschnitt trägt, ziemlich ungewöhnlich. "Ich wusste nicht, ob die syrischen und afghanischen Männer meine Alltagsklamotten als falsches Signal verstehen, sich dadurch verunsichert fühlen oder mich nicht ernst nehmen", sagt sie.
Als ihr aber die Jungs gegenüberstanden, schüchtern und dankbar für diese Abwechslung zum Alltag im Flüchtlingsheim, verpuffen ihre Bedenken. Beim zweiten Treffen trug sie wieder Minikleid. Keiner schaute ihr in den Ausschnitt, alle hörten ihr zu, spielten hoch konzentriert. Sophia, die Improvisationstheater liebt, weil man dabei so viel vom anderen lernen kann, verstand: Traue keinem Vorurteil!
Junge geflüchtete Männer, die sich einfach mal verlieben wollen, haben es verdammt schwer
Seit der Silvesternacht in Köln stehen Flüchtlinge unter Generalverdacht. Wenn Einzelne sich schlecht benehmen oder kriminell sind, wird das schnell verallgemeinert. Da haben es die vielen jungen Männer, die hierherkommen, die hier leben, arbeiten und sich einfach mal verlieben wollen, verdammt schwer. Der Kurs hilft ihnen.
Gulahmad aus Afghanistan bringt am Anfang des Treffens kaum einen Ton heraus. Als er sich auf der Bühne überwunden hat, wandelt er sich schnell, wirkt selbstbewusster. Raghed aus Syrien leidet unter der Situation im Flüchtlingsheim, auf der Bühne starrt er vor sich hin, ganz steif. Sophia schickt alle zu ihm. Einer beginnt zu beatboxen, die anderen tanzen. Langsam bewegt sich auch Raghed, kreist mit den Hüften, wirft die Hände hoch. Manchmal fragen die Jungs Sophia um Rat, zeigen ihr Nachrichten, die sie nicht im Spiel, sondern im echten Leben von Frauen bekommen haben.
Sie hilft Flüchtlingen, ihre Männlichkeit zu entdecken
Sophia erkannte, dass sie die Teilnehmer Flirtszenen spielen lassen sollte. Wie man jemanden kennenlernt, war für die Flüchtlinge das wichtigste Thema überhaupt. Sophia arbeitet als Flirtcoach und gibt Workshops zu Themen wie "Liebe deine Weiblichkeit".
Sie bewegt sich anmutig, fasst ihr Gegenüber, Frau wie Mann, oft an. Ihre Körperlichkeit entdeckte sie mit 17. Damals nannten andere sie "fett" und "hässlich", sie fühlte sich fett und hässlich. Irgendwann beschloss sie: So will ich nicht durchs Leben gehen. Ich will meinen Körper lieben.
Ähnlich wie sie sich selbst half, ihre Weiblichkeit zu entdecken, hilft sie jetzt Flüchtlingen, ihre Männlichkeit zu entdecken. Aktham ist 36, hatte aber noch keine Freundin, keine Geliebte, nicht mal einen One-Night-Stand. In Syrien hatte er die Enthaltsamkeit bewusst gewählt. Er filmte die Proteste gegen Assad und stellte Videos online – Freundinnen von Dissidenten werden oft gefoltert.
In Deutschland hatte Aktham das Gefühl, die Frauen flohen vor ihm. Als er doch ein Date hatte, lief es gut, aber sie meldete sich nicht mehr. Fand sie blöd, dass er Elektrotechnik studierte? Dass er Metal hörte? Hatte sie doch keinen Bock auf einen Flüchtling? Sophia las die Nachrichten von dem Mädchen und sagte: "Klingt für mich, als wäre sie gern weiter gegangen, und du warst ihr zu vorsichtig." Wie könnte er, ein arabischer Mann, zu vorsichtig sein? Sie, eine deutsche Frau, musste doch Angst vor ihm haben! "Du brauchst nicht für sie zu denken“, sagte Sophia. "Sie kann entscheiden, wie sie mit deinem Angebot umgeht."
Aktham will eine Beziehung, keinen schnellen Sex. Trotzdem sei das Gespräch mit Sophia eine Offenbarung für ihn gewesen, sagt er. Inzwischen hat er sich schon mehrmals mit Frauen auf ein Bier verabredet.
Und was denken Sie daran ?