Horrorlabor" ("Hamburger Morgenpost") oder "exzellenter und erfahrener Partner im Bereich der Auftragsforschung" (Eigenwerbung)? Nach den Video-Enthüllungen der Tierrechtsorganisationen Soko Tierschutz und Cruelty Free International zu den Zuständen in der LPT-Tierversuchsanstalt (Labor für Pharmakologie und Toxikologie) in Mienenbüttel bei Hamburg steht für die weltberühmte Affenforscherin Jane Goodall fest, dass dort massiv gegen Tierschutzregeln verstoßen wird. Dennoch dürfen die Versuche erst einmal weitergehen.
"Die Aufnahmen zeigen einige der schlimmsten Misshandlungen, die ich je in Verbindung mit Tierversuchen gesehen habe", erklärte die britische Verhaltensforscherin laut Soko Tierschutz, nachdem sie die heimlich gefilmten Sequenzen aus dem Labor gesichtet habe. "Der Eindruck, den diese Aufnahmen hinterlassen, ist, dass ihre Behandlung nichts weniger als systematische Misshandlung für die Tiere bedeutet", sagte sie demnach mit Blick auf Affen, denen etwa gewaltsam der Mund geöffnet und ein Schlauch in den Magen geschoben wurde oder die auf Apparaturen fixiert wurden.
Sofortiger Stopp der Tierversuche gefordert
Das Fazit der Wissenschaftlerin: "Was ich in diesen Aufnahmen gesehen habe, gehört zu dem herzlosesten, inhumansten und brutalsten Verhalten von Menschen gegenüber Primaten, Hunden und Katzen dieses Labors. Es ist nichts anderes als die Hölle auf Erden." Sie forderte einen sofortigen Stopp der Tierversuche.
Jane Goodall machte sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in der Forschung zu Schimpansen einen Namen. Sie entdeckte unter anderem den Gebrauch von Werkzeugen durch die Tiere und studierte deren Verhaltensweisen in freier Wildbahn. Ihr Einsatz für (Menschen-)Affen brachte ihr zahlreiche Auszeichnungen und internationale Anerkennung ein.
Die Tierrechtsaktivisten der Soko Tierschutz und von Cruelty Free International hatten nach eigenen Angaben Ende vergangenen Jahres einen Mitarbeiter in das Labor eingeschleust, der dort mehrere Monate undercover tätig gewesen sei. Mit versteckter Kamera dokumentierte er die Bedingungen für die Tiere (siehe Video oben). Neben der Unterbringung in zu kleinen Käfigen prangen die Tierschützer unter anderem "entsetzlich blutende" Hunde, die "grausam zugrunde gingen", "blutverschmierte Zwinger" und die Behandlung von Affen "mit äußerster Grobheit" bis hin zu vorsätzlichen Schlägen eines Tieres gegen eine Türkante an.
Am Wochenende hatten in Hamburg nach Polizeiangaben mehr als 7000 Menschen gegen Tierversuche demonstriert und die Schließung des LPT-Labors am Rande der Hansestadt gefordert.
Der zuständige Landkreis Harburg, in dessen Gebiet sich das Labor der Hamburger Firma befindet, kündigte nach den Enthüllungen an, die Aufsicht über die Tierversuchsanstalt in Mienenbüttel deutlich zu verschärfen. "Die Kontrollen werden künftig engmaschiger und weit über das gesetzlich vorgeschriebene Maß stattfinden, das eine Kontrolle bei Affen in Tierversuchen einmal jährlich, bei Hunden, Katzen und anderen Tieren sogar nur alle drei Jahre vorsieht", hieß es in einer Mitteilung. Zudem seien "detaillierte Informationen zu anstehenden Versuchsreihen und deren Durchführung" angefordert worden.
Der Landkreis Harburg habe – ebenso wie ein Vertreter der Soko Tierschutz – zudem gegen die Betreiber des LPT-Labors Strafanzeige wegen möglicher Verstöße gegen Tierschutzgesetze erstattet. So sei bei einer unangekündigten Kontrolle festgestellt worden, dass mindestens 44 Affen "nach Einschätzung des Veterinärdienstes anhaltendes und erhebliches Leid zugefügt wurde", weil sie in "deutlich zu kleinen" Käfigen gehalten worden seien. Grundsätzlich hätten sich die etwa 250 Affen, 200 Hunde und 50 Katzen in dem Labor "in einem nicht zu beanstandenden Allgemeinzustand" befunden, teilte das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves), die Genehmigungsbehörde für Tierversuche, nach Bekanntwerden der Aufnahmen mit. Ob weitere der dokumentierten Szenen auch tatsächlich Verstöße gegen den Tierschutz darstellen, bedürfe einer Prüfung, erklärte der Landkreis.
Ermittlungen gegen LPT aufgenommen
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade bestätigte bereits am Freitag die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen. Deren Dauer sei schwer abzuschätzen. "Das ist ja ein Fall, der nicht alltäglich ist", sagte der Sprecher.
Die Soko Tierschutz und von Cruelty Free International werfen den Verantwortlichen von LPT jedoch nicht nur das Quälen von Tieren, sondern auch die bewusste Gefährdung von Menschen vor. So sei im Rahmen einer 26-wöchigen Giftigkeitsstudie an Dutzenden Affen im Auftrag einer südkoreanischen Pharmastudie ein Tier verendet. Der Todesfall sei vertuscht worden, stattdessen sei die Studie mit einem Austausch-Affen weitergeführt worden – ohne die zuständige Aufsichtsbehörde zu informieren. "Wenn sich der akute Verdacht bestätigt, dass im LPT eine gewaltige Primatenstudie auf diese Art und Weise manipuliert wurde, dann stellt das alles in Frage, und dem Labor muss sofort die Betriebserlaubnis entzogen werden. Das bedeutet dann nicht nur Qualen für Tiere, sondern auch ein Medikament für Menschen, dessen Entwicklung auf unterschlagenen Daten und einem verfälschten Studienablauf beruht", sagte Soko-Tierschutz-Chef Friedrich Mülln. Es sei Anzeige wegen Betruges erstattet worden.
Das Laves erklärte, es unterziehe derzeit "alle genehmigten und angezeigten Tierversuchsvorhaben bei LPT einer Plausibilitätsprüfung". Dabei seien bereits Abweichungen zwischen den Inhalten der Genehmigungen und Anzeigen und den tatsächlichen Gegebenheiten festgestellt worden. "Bis zum Abschluss der Prüfung werden keine neuen Genehmigungen für Tierversuche bei LPT erteilt", so die Behörde weiter.
Doch trotz der Unregelmäßigkeiten und Missstände: Die Forderung von Jane Goodall und der Tierschutzorganisation nach einem sofortigen Stopp der Tierversuche wird vorerst nicht erfüllt. Mindestens 113 darf das Unternehmen nach jetzigem Stand noch durchführen: "Zurzeit sind 25 anzeigepflichtige Versuchsvorhaben sowie 88 genehmigungspflichtige Versuchsvorhaben der LPT zur Kenntnis genommen bzw. genehmigt", teilte eine Sprecherin des Laves auf stern-Anfrage mit. Unter Verweis auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wollte die Genehmigungsbehörde zunächst keine weiteren Details mitteilen. Welche dieser Versuche LPT tatsächlich noch durchführen wird, ist unklar.
Labor bei Hamburg schon vor 37 Jahren in der Kritik
Das Unternehmen selbst schwieg lange und reagierte nicht auf Anfragen von Medien. Nun teilte die Firma der Nachrichtenagentur DPA erstmals zu den Vorwürfen mit, dass sie bei der aktuellen Untersuchung vollumfänglich mit den Behörden kooperiere. Weiter wolle man sich nicht äußern.
Das Tierversuchslabor steht bereits seit Jahrzehnten massiv in der Kritik. So berichtete der stern beispielsweise schon 1982 unter der Überschrift "Angriff auf die Folterkammern" über illegale Befreiungsaktionen von Tierschützern für 100 Beagle aus dem LPT-Labor in Mienenbüttel und attestierte: "Was in Universitätsinstituten und den Großlabors der Chemie-Konzerne geschieht, hat wenig zu tun mit der Forderung des Gesetzes, 'Schmerzen, Leiden oder Schäden' von Tieren fernzuhalten." Und es findet sich die bemerkenswert aktuell wirkende Schilderung eines Tierpflegers aus dem Inneren der Versuchsanstalt in dem 37 Jahre alten Artikel: "Wenn Hunde bei einer Zwangsfütterung mit Testmitteln starben, wurden sie in Versuchsreihen einfach durch neue Tiere ersetzt, ohne daß dies in den Kontroll-Listen vermerkt wurde."
Und was denken Sie daran ?