Die CDU streitet über den Umgang mit der AfD. Andreas Rödder, Historiker und Leiter der CDU-Grundwertekommission, fordert seine Partei im stern-Interview auf, sich vom Begriff der Brandmauer zu lösen - und zeigt sich offen für eine heikle Machtoption im Osten.
Hat die CDU in Thüringen die Brandmauer nach rechts eingerissen?
Ich halte schon das Wort „Brandmauer“ für falsch. Es teilt die Welt in zwei Lager: „wir“ und „die“, auf der einen Seite das grüne Auenland, auf der anderen Seite die verbrannte Erde. Dieser Begriff bringt uns ständig in Schnappatmung. Das ist schädlich für unsere Demokratie.
Laut Unvereinbarkeitsbeschluss lehnt die CDU „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit AfD und Linkspartei ab. In Thüringen hat die CDU eine Senkung der Grunderwerbsteuer mit den Stimmen der AfD durchgesetzt. Wo ist der Unterschied zwischen zusammenarbeiten und gemeinsam abstimmen?
Die CDU tut gut daran, ihre eigenen Beschlüsse ernst zu nehmen. Das heißt: Keine Koalition, keine formellen Absprachen mit der AfD. Wenn die CDU einen Antrag einbringt und dafür eine Mehrheit erhält, ist das normales parlamentarisches Verhalten.
Inoffiziell gab es wohl eine Absprache. Erst zog die AfD ihren Antrag zurück. Dann brachte die CDU ihren Antrag ein.
Nochmal: Die CDU sollte sich weder formell noch informell danach richten, was die AfD tut. Wenn sie aber aus Überzeugung eine Gesetzesvorlage einbringt, ist es völlig egal, wer zustimmt.
Mit diesem Argument könnte die CDU nach der nächsten Wahl eine Minderheitsregierung in Thüringen bilden, die sich von der AfD tolerieren lässt.
Die entscheidende Frage wäre: Ist es eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheit immer wieder neu suchen muss? Dann ist es völlig in Ordnung. Problematisch wäre es erst, wenn sich die CDU offiziell von der AfD tolerieren ließe und dafür Absprachen eingehen würde. Das wäre eine rote Linie.
Wo sehen Sie inhaltlich die rote Linie?
Es gibt klare rote Linien nach rechtsaußen, ich nenne nur die Relativierung des Nationalsozialismus oder die Befürwortung des Krieges gegen die Ukraine. Ansonsten zählt die Sache: Die Senkung der Grunderwerbsteuer ist sinnvoll. Was, wenn die AfD frühere Vorlagen der CDU einbringt? Soll die CDU aus Prinzip gegen ihre eigenen Überzeugungen stimmen? Parlamentarismus heißt, die Inhalte an erste Stelle zu setzen.
Legitimiert man damit nicht eine Partei, die immer wieder durch rassistische und demokratiefeindliche Aussagen auffällt?
Die AfD hat das Ziel, die Union zu zerstören, denn nur so kann sie die politische Rechte erobern. Diese Logik muss die CDU verstehen. Sie ist eingeklemmt zwischen den Grünen, die eine kulturelle Hegemonie besitzen, und der AfD, die die CDU beseitigen will. Kurz: die Grünen sind inhaltlich der Hauptgegner, die AfD der Feind. Wenn die CDU nicht untergehen will, muss sie sich zwischen diesen beiden Polen behaupten.
Was würden Sie Ihrer Partei empfehlen?
Die CDU darf nicht länger über falsche Brandmauern streiten. Das hat nur den Effekt, dass die AfD die CDU immer wieder vorführen kann. Die CDU muss selbstbewusst auftreten und eigene Positionen formulieren. Sie muss aus der Defensive herauskommen. Nur so kann sie die rechte demokratische Mitte für sich gewinnen.
Und wenn das zur Normalisierung der AfD beiträgt? In Thüringen steht ein Björn Höcke dieser Partei vor.
Zur Normalisierung würde man nur beitragen, wenn man mit Höcke koaliert. Man darf sie aber eben auch nicht überhöhen. Und das gelingt, indem die Union sich nicht davon treiben lässt, ob die AfD zustimmt oder die Grünen widersprechen. Sie sollte gar nicht nach der AfD schielen. Die Brandmauer-Hysterie führt doch nur dazu, dass die AfD immer mehr Zulauf erhält.
Täuscht der Eindruck, dass dem Parteivorsitzenden eine Brandmauer zu den Grünen wichtiger ist?
Auch da würde ich nicht von einer „Brandmauer“ reden, sondern von demokratischem Wettbewerb. Und da hat Merz völlig Recht: Die Grünen sind der inhaltliche Hauptgegner der CDU. Ihre kulturelle Hegemonie reicht weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus.
Wir haben eher den Eindruck, dass derzeit keine Partei öffentlich so angefeindet wird wie die Grünen.
Weil zunehmende Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass sie von den Grünen bevormundet werden sollen. Diese Reaktanz war ein vorhesehbarer Vorgang. Es ist Aufgabe der Union als Opposition, eine Alternative entgegenzusetzen.
Friedrich Merz sprach von der „Alternative mit Substanz“.
Das war in der Sache richtig, aber der Begriff war nicht sonderlich glücklich, weil er nach „AfD light“ klingt. Die Union macht sich aber selbst überflüssig, wenn sie „Grüne light“ oder „AfD light“ wird. Ich kann verstehen, dass SPD und Grüne versuchen, die Union in die Enge zu treiben. Wenn sie über den parteitaktischen Tellerrand hinausblicken, sollten aber auch alle Linken ein Interesse daran haben, dass es eine starke Partei der demokratischen rechten Mitte gibt. Sonst wird es für das politische System insgesamt kritisch.
Ein Blick nach Europa, nach Frankreich oder Italien, zeigt, dass eine christdemokratische Partei nicht für immer existieren muss.
Wenn man seit 1949 mit Ausnahme von 22 Jahren immer regiert hat, verführt das zu der Annahme, es sei die ewig gültige Normalität.
Wir haben 2024 drei Landtagswahlen im Osten. Wie groß wird die Versuchung, die AfD in einer Regierung einzuhegen?
Da kann ich aus meiner Haut als Historiker nicht heraus: Das Großexperiment des Einbindens ist im 20. Jahrhundert mächtig schief gegangen.
Warum gelingt es der CDU nicht, aus der Misere der Ampel zu profitieren?
Die Union ist von drei Seiten unter Druck. Von links droht Widerspruch der Grünen, von rechts droht Zustimmung der AfD. Und von hinten drückt die Ära Merkel.
Der stern hat gerade von der Aussöhnung der Intimfeinde Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine berichtet. Würde es der CDU helfen, wenn Friedrich Merz und Angela Merkel sich öffentlich vertragen?
Das wäre sicher ein gutes Signal. Aber nach meiner Kenntnis hat Frau Merkel Einladungen von Friedrich Merz ausgeschlagen. Dass sie darauf besteht, alles richtig gemacht zu haben, ist auch nicht hilfreich.
Braucht die CDU eine Aufarbeitung der Ära Merkel?
Die CDU erlebt gerade, was die SPD nach der Ära Schröder durchgemacht hat. Sowohl Schröder als auch Merkel sind weit vom Mainstream ihrer Partei abgewichen, das berührt die Identität. Die Union wird nicht daran vorbeikommen, ein differenziertes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit zu finden.
Und was denken Sie daran ?