Wenn Gletscher schmelzen, sterben seltene Alpenpflanzen aus

09.03.2021 11:40

Der Klimawandel lässt die Gletscher der Alpen schmelzen. Das schafft zunächst neuen Lebensraum für hochspezialisierte Pflanzenarten, lässt sie aber letzten Endes lokal aussterben. So prophezeit es eine neue Studie, die vier Gletscher in den italienischen Alpen untersucht hat

Zunächst klingt es paradox: Doch schmelzen Gletscher, nimmt die Biodiversität um sie herum zunächst zu. Die Eismassen legen Landflächen frei, die pflanzlichen Überlebenskünstler der Alpen schlagen ihre Wurzeln auf unwirtlichem Terrain - und schaffen Lebensraum für weitere Pflanzen des Hochgebirges.

Sogenannte Polsterpflanzen siedeln als erstes auf ehemaligen Gletscherzungen. Sie wachsen sehr niedrig und dicht, so dass sie dem eisigen Wind der Alpen kaum Angriffsfläche bieten. Trotzdem sammelt zum Beispiel Mossartiger Steinbrech kleinste pflanzliche Überreste in seinen Fängen, die der Wind umherträgt. Diese, so schreibt es Robert Baxter, Professor für Pflanzenkunde in der englischen Grafschaft Durham, seien eine willkommene Quelle der Feuchtigkeit und werden zu nährstoffreichem Kompost - so schaffen die Pflanzen der Alpen ihren eigenen Lebensraum.

Ein Fünftel der Pflanzenarten könnte lokal aussterben

Der Rückzug der Gletscher legt also neuen Lebensraum für Pflanzen frei, erhöht die Biodiversität. Jedoch nur zunächst. "Obwohl die Pflanzenvielfalt in den Hochalpen größer wird, wenn Gletscher schmelzen, werden mehr als ein Fünftel der Pflanzenarten verschwinden, wenn die Gletscher vollständig abgeschmolzen sind", schreiben die Autoren einer neuen Studie, die im Fachmagazin Frontiers in Ecology and Evolution erschienen ist.

Das hat einen einfachen Grund: Die Spezialisten unter den Alpenpflanzen, die neue Flächen besiedeln und auf diese Weise Lebensraum für andere Pflanzen schaffen, sind darauf angewiesen, dass Gletscher immer wieder neue Felsformationen freigeben. Haben sie erst den Lebensraum für andere Pflanzen geschaffen, die weniger gut an ehemaliges Gletscherland angepasst sind, nehmen diese oft den gesamten Lebensraum für sich ein - für die hochspezialisierten Pioniere ist dann kein Platz mehr. Sie weichen in höhere Lagen aus, die der Gletscher gerade freigegeben hat.

Ist der Gletscher jedoch vollständig abgeschmolzen, haben diese Pioniere keinen Lebensraum mehr, den sie erschließen können. Dann erweist sich ihre größte Stärke als größte Schwäche: In nährstoffreicheren Lebensräumen können sie sich nicht gegen die Konkurrenz anderer Pflanzenarten durchsetzen.

Zu diesen Schlüssen kam das Forscherteam, nachdem es die Verbreitung von 117 Pflanzenarten unterhalb von vier Gletschern in den italienischen Alpen in den letzten 5000 Jahren analysiert hat. Demnach könnten diese verzögerte Anpassungsprozesse dazu führen, dass viele Pflanzen der Alpen lokal aussterben. In Norditalien wären zum Beispiel der Moosartige Steinbrech, das Resedablättrige Schaumkraut, die Zwerg-Miere oder die Ährige Edelraute betroffen.

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