Was eine gute Beziehung zu Tieren ausmacht

30.03.2020 17:45

Woher rührt der Wunsch, mit Tieren zusammenzuleben? Können wir zu Hund, Katze und Co. eine ebenso intensive Bindung aufbauen wie zu Menschen? Und deuten wir die Gefühle unserer tierischen Gefährten richtig? Der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal über die Psychologie einer uralten Beziehung

Herr Professor Kotrschal, jedes Jahr geben Menschen viele Milliarden Euro für ihre Haustiere aus. Warum überhaupt hält man sich Tiere?

Prof. Kurt Kotrschal: Den Begriff „Haustier“ mag ich nicht gern – Hunde, Katzen oder Pferde zeichnen sich ja nicht vornehmlich dadurch aus, dass man sie im Haus hat. Sondern dadurch, dass wir zu ihnen eine soziale Beziehung aufbauen. Es sind Gefährten, Kumpane. Daher spreche ich meist von „Kumpan-Tieren“. Vor allem gibt es diese Kumpan-Tiere nicht erst, seit der Mensch sesshaft ist, in Häusern lebt.

Wie weit reichen die gemeinsamen Beziehungen zurück?

Bis zu unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren. So wissen wir zum Beispiel, dass die nahe Beziehung zwischen Mensch und Wolf wohl schon vor 40 000 Jahren begonnen hat. Wahrscheinlich haben Menschen seit jeher mit Tieren zusammengelebt, ohne sie unbedingt essen zu wollen. Einen Anhaltspunkt bieten die letzten heute noch existierenden Jäger-und-Sammler-Kulturen, etwa im Amazonasgebiet. Dort nehmen die Menschen die Jungen von erlegten Muttertieren bei sich auf. Sie schießen zum Beispiel einen weiblichen Klammeraffen und ziehen das Affenbaby groß. Einerseits ist das Tierkind ein Gefährte für die Menschenkinder, sie verbringen Zeit miteinander, können Beziehungen zu dem Tier knüpfen. Andererseits hat das Verhalten auch spirituelle Wurzeln: Die Sorge um den Nachwuchs stiftet Versöhnung mit dem Geist der getöteten Mutter. In der Spiritualität liegt höchstwahrscheinlich die Wurzel all unserer Tierbeziehungen – und umgekehrt die Wurzel des Menschseins.

Ging es unseren Vorfahren stets um spirituelle Besänftigung?

Sie alle glaubten an die Beseeltheit der Natur und damit auch der Tiere. Manche Geschöpfe wurden als enge Verwandte betrachtet, als Totems, als spirituelle Mittler. Menschen sprachen ihnen bestimmte Eigenschaften wie Mut und Ausdauer, Klugheit und Kraft zu. Und sie wollten diese Eigenschaften wohl im spirituellen Kontakt mit den Tieren auch selbst erwerben.

Gilt das auch heute noch, etwa wenn sich Menschen mit besonders kräftigen Hunden umgeben?

Mag sein, dass sich manch einer eher für einen starken Hund entscheidet, weil er sich selbst als kraftvoll empfindet und so hofft, seine Ausstrahlung noch unterstreichen zu können. Aber heute dürfte es den wenigsten Menschen um Spiritualität gehen, wenn sie sich für ein Tier entscheiden. Allerdings haben Verhalten und Vorstellungen unserer Ahnen in jedem von uns Spuren hinterlassen. Wir kommen ja mit bestimmten Bedürfnissen zur Welt, die mit unserem genetischen Erbe zusammenhängen. Eines der Grundbedürfnisse offenbart sich eben darin, dass zu einer guten sozialen, emotionalen, kognitiven und körperlichen Entwicklung auch ein Aufwachsen in Kontakt mit Tieren und Natur gehört. Das zeigen eine Reihe von Studien.

Ab wann interessieren sich Kinder für Tiere?

Das Interesse ist uns in die Wiege gelegt. Beobachtungen belegen, dass Babys im Alter von drei bis sechs Monaten sich für nichts so interessieren wie für Tiere. Diese Biophilie, die Liebe zum Lebendigen, ist universal: Alle gesunden Kleinkinder dieser Welt sind höchst tierfreundlich – je jünger, desto intensiver, und zwar unabhängig von Kultur und Einstellung der Eltern. Auch die ersten Lautäußerungen sind vielfach tierbezogen, etwa wenn Kinder begeistert auf einen Hund zeigen und dabei „Wauwau“ sagen. Im Alter von sechs bis neun Jahren differenzieren sich dann oft die emotionalen Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren: Kinder haben nun Lieblingstiere. Mit zehn bis 13 Jahren nehmen das sachliche Interesse und das Faktenwissen zu Tieren sprunghaft zu. Und dann bildet sich allmählich ein umfassenderes Verständnis von Tieren als Teil der Ökosysteme heraus.

Wenn es so natürlich ist, dass wir mit Tieren zusammenleben: Wieso gibt es Menschen, die sich so ganz und gar nicht nach einer Beziehung zu Tieren sehnen?

Dass nicht alle Erwachsenen gleichermaßen tierbegeistert sind, hängt – wie bei allen anderen Eigenschaften auch – von den Anlagen und Entwicklungsbedingungen ab. Diese Menschen konnten sich in ihrer Kindheit ziemlich sicher für Tiere erwärmen. Vielleicht aber wurde von den Eltern dieses Interesse nicht sonderlich gefördert. Dennoch spüren ganz viele Erwachsene eines Tages, dass ihnen etwas fehlt, und in ihnen keimt der Wunsch, einen Hund oder eine Katze bei sich aufzunehmen. Oft wird dieses Bedürfnis rationalisiert. Dann heißt es: Ein Hund ist ein guter Freizeitpartner, er ist gut für die Gesundheit, er ist gut für die Entwicklung der Kinder. All das ist richtig. Aber im Kern steht ein Bedürfnis fern der Ratio. Ein tiefer, instinktiver Wunsch.

Können wir zu Tieren eine ebenso intensive Bindung aufbauen wie zu Menschen?

Ja, absolut. Hunde sind unser soziales Alter Ego. Sie reagieren sehr gut auf unsere Bedürfnisse und haben ihrerseits nahezu identische Bedürfnisse. Das bedeutet: Mit ein wenig Herz und Hirn kann man zu einem Hund eine symmetrische, stabile und überaus bereichernde Partnerschaft aufbauen. Hinzu kommt: Es gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen, Fürsorge zu geben und Fürsorge zu empfangen. Ich will geliebt werden, und ich will andere haben, die ich lieben kann. Das kann mit anderen Menschen ein bisschen kompliziert sein, komplizierter als mit Hund oder Katze.

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