Was AfD-Wähler in Ostdeutschland bewegt – und umstimmen könnte

18.01.2024 10:27

Die AfD hat in Ostdeutschland eine treue Stammwählerschaft, aber kein überzeugendes Spitzenpersonal – das ergibt eine große Forsa-Untersuchung vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Ein Überblick.

Was soll das denn? Diese Frage dürfte sich so mancher Genossen gestellt haben, als Sigmar Gabriel einen ungewöhnlichen Wahlaufruf startete. Der langjährige SPD-Vorsitzende hatte dafür geworben, im aufziehenden sächsischen Landtagswahlkampf den CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu unterstützen. "Solche Typen brauchen wir jetzt", sagte Gabriel mit Blick auf eine immer stärker werdende AfD. Da waren nicht nur die schwächelnden Sozialdemokraten im Freistaat baff. Ausweislich aktueller Umfragen müssen sie sich sorgen, ob sie in dem Bundesland bei den Wahlen im September an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. 

Gabriels überraschender Support könnte dennoch dazu beitragen, eine politische Premiere in Deutschland zu verhindern: einen Wahlsieg der Rechtspopulisten bei Landtagswahlen. 

Das legt eine große Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL Deutschland (der stern ist Teil des Medienunternehmens) nahe, die sich mit Wählermotiven und Vorbehalten der (AfD-)Wähler in den drei ostdeutschen Ländern befasst hat. Im Herbst werden in Sachsen, Brandenburg und Thüringen neue Landtage gewählt.

Demnach können insbesondere die amtierenden Ministerpräsidenten in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Wahlsiege der AfD verhindern. In allen drei Ländern führen die Rechtspopulisten ausnahmslos die Umfragen an. Doch wie das Beispiel Sachsen zeigt: Mit Regierungschef Kretschmer sind selbst viele AfD-Stammwähler "zufrieden". Sie sehen offenbar keine attraktive Alternative zum CDU-Mann. 

Auch die Ampel-Koalition im Bund könnte zu einer Trendumkehr beitragen – wenn sie denn bei einem Thema härter durchgreift. Allerdings, auch das zeigen die Zahlen, steht für einen Großteil der AfD-Stammwählerschaft schon jetzt fest, dass sie im September die in Teilen rechtsextreme Partei wählen will. Das macht die noch Unentschlossenen für die anderen Parteien wichtiger. Fünf Erkenntnisse der Forsa-Untersuchung:

1: Die Ministerpräsidenten könnten den Ausschlag geben

Die amtierenden Ministerpräsidenten könnten ein entscheidender Faktor sein, Wahlsiege der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu verhindern. Mit dem CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen sind selbst 28 Prozent der AfD-Stammwähler "zufrieden". Wohingegen die AfD-Spitzenkandidaten in den drei Bundesländern selbst bei den eigenen Stammwählern krachend durchfallen:

  • Thüringen: Björn Höcke halten lediglich 28 Prozent der AfD-Stammwähler (und nur sechs Prozent aller Wahlberechtigten) für einen besseren Ministerpräsidenten als Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linkspartei. 
  • Sachsen: Den AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban halten nur 16 Prozent der AfD-Stammwähler (und drei Prozent aller Wahlberechtigten) für besser als CDU-Amtsinhaber Michael Kretschmer. 
  • Brandenburg: Nur 12 Prozent der AfD-Stammwähler sehen Birgit Bessin als eine bessere Spitzenkandidatin an als SPD-Amtsinhaber Dietmar Woidke. 

2: Die AfD hat eine treue Stammwählerschaft

Die Untersuchung unterscheidet zwischen drei verschiedenen AfD-Wählern: den Stammwählern der Partei, die auch schon bei der Bundestagswahl 2021 für die AfD gestimmt haben. Den "Zuwanderern", die erst nach 2021 zur AfD gewandert sind. Und potenziellen Wählern, die sich vorstellen können, die AfD zu wählen. 

Die Stammwähler wollen es mehrheitlich bleiben: In den drei Ost-Bundesländern sind bis zu 85 Prozent nach eigenen Angaben unverrückbar fest entschlossen, im September AfD zu wählen. Von den AfD-Wählern, die erst 2021 zu Anhängern wurden (also den "Zuwanderern"), können sich zwischen 35 und 41 Prozent immerhin noch vorstellen, bei den Landtagswahlen eine andere Partei als die AfD zu wählen. Unter den potenziellen AfD-Wählern liegt dieser Anteil bei 59 bis 70 Prozent.

Der Untersuchung zufolge entscheiden sich 54 Prozent der Stammwähler in Sachsen, 40 Prozent in Brandenburg und 38 Prozent in Thüringen für die AfD, weil sie von den politischen Vorstellungen der Partei überzeugt sind. Wohingegen sich die "Zuwanderer" in allen drei Ländern vor allem deshalb für die Partei entschieden, weil sie mit der Politik der Bundesregierung unzufrieden sind.  

3: Die Bundesregierung kann AfD-Wähler noch zurückgewinnen, wenn …

Die Bundesregierung könnte AfD-Anhänger in allen drei ostdeutschen Bundesländern davon abhalten, die AfD tatsächlich zu wählen. Jedenfalls in der demoskopischen Theorie. 

Laut der Forsa-Untersuchung könnte sich rund ein Fünftel der jetzigen AfD-Anhänger vorstellen, der Partei nicht mehr ihre Stimme zu geben – wenn die Ampel-Koalition in Berlin ihre Politik ändert, insbesondere durch eine Verschärfung im Bereich der Migration. 

Interessant: Wenn die CDU wieder konservativer werden würde (abgefragt: ein "Rechtsruck" der CDU), wäre das nur für sehr wenige AfD-Anhänger ein Grund, der AfD ihr Kreuz zu verwehren. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sorgt der Umfrage zufolge nur bei sehr wenigen dafür, ihre Wahlentscheidung zu überdenken.

4: Das "wichtigste Problem" ist nicht die Migration – und schon gar nicht der Klimawandel 

Auch das zeigt die Forsa-Umfrage: Klimaschutz dürfte kein Wahlkampfschlager bei den Landtagswahlen sein – die Wähler in den drei ostdeutschen Ländern sehen die Prioritäten woanders. 

Dass der Klimawandel im jeweiligen Bundesland das derzeit wichtigste Problem ist, glaubt in allen drei Ländern nur weniger als ein Fünftel aller Wahlberechtigten. Rund vier Fünftel meinen, es gäbe andere Probleme, die genauso wichtig oder sogar wichtiger seien. Von den AfD-Anhängern meinen das so gut wie alle. 

Worum muss sich die Politik in den nächsten Jahren in besonderem Maße kümmern? Das war die Frage, die in allen drei Ländern ähnlich beantwortet wurde: 

Thüringen: In Thüringen ist den Wahlberechtigten besonders wichtig, dass sich die Politik im Land um die Schaffung eines guten und gerechten Bildungssystems (63 Prozent) und eine sichere und bezahlbare Energieversorgung (62 Prozent) kümmert. Deutlich wichtiger als der Klimawandel (16 Prozent) sind auch die Eindämmung der Preissteigerungen (48 Prozent), die Bekämpfung der Kriminalität und Gewalt (46 Prozent) und ein genereller Zuzugstop für Ausländer (46 Prozent). 

Sachsen: Auch hier haben die Energiesicherheit (64 Prozent), ein gutes Bildungssystem (63 Prozent), die Reduzierung der Preissteigerungen (51 Prozent), der Kampf gegen die Kriminalität (48 Prozent) und ein Zuzugstop für Ausländer (45 Prozent) eine höhere Priorität als der Klimawandel (18 Prozent). 

Brandenburg: Die Themen, die von der Politik angegangen werden sollten, sind auch hier weitgehend ähnlich zu den beiden anderen Ländern. Am wichtigsten sind hier die Energieversorgung und das Bildungssystem (jeweils 62 Prozent), gefolgt von der Bekämpfung von Kriminalität und Eindämmung der Preissteigerungen (jeweils 48 Prozent) und einem Zuzugstop für Ausländer (43 Prozent). Auch hier bildet der Klimawandel (19 Prozent) das Schlusslicht.

Bei AfD-Stammwählern in den drei Ländern spielt der Klimawandel praktisch keine Rolle: maximal ein Prozent (!) hält ihn für das wichtigste Problem. Wohingegen ein Zuzugstop für Ausländer und eine sichere wie bezahlbare Energieversorgung mit Werten von jeweils über 90 Prozent die Prioritätenliste anführen. 

5: Die AfD mobilisiert Nichtwähler – aus Sorge vor ihrer möglichen Macht 

Die AfD könnte ausgemachte Nichtwähler mobilisieren – um die Rechtspopulisten zu verhindern. Auch das geht es der Forsa-Untersuchung hervor.

Sollte sich kurz vor der Wahl abzeichnen, dass die AfD bei den Landtagswahlen die mit Abstand stärkste Kraft werden oder sogar die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag erhalten könnte, würde die Hälfte der Wahlberechtigten, die heute nicht an der Wahl teilnehmen wollen, überlegen, doch noch zur Wahl zu gehen. Und eine der anderen Parteien (vor allem die CDU, die SPD und in Thüringen Die Linke) wählen. 

Angst vor einer starken AfD? Auch das klopften die Meinungsforscher ab. Das erfragte Szenario: Wenn sich abzeichnet, dass die AfD bei der Landtagswahl die mit Abstand stärkste Partei wird oder sogar die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag erhält, dann…

…fänden das in Thüringen 29 Prozent gut, 52 Prozent würde das Angst machen, 11 Prozent wäre das egal.

…fänden das in Sachsen 29 Prozent gut, 50 Prozent würde das Angst machen, 13 Prozent wäre das egal.

…fänden das in Brandenburg 24 Prozent gut, 56 Prozent würde das Angst machen, 13 Prozent wäre das egal.

Zur Datengrundlage und Methodik

Für die Umfrage im Auftrag von RTL Deutschland – der stern ist Teil des Medienunternehmens – hat sich das Meinungsforschungsinstitut Forsa in den drei ostdeutschen Ländern, in denen im Herbst Landtagswahlen stattfinden, mehreren Fragen in Bezug auf die AfD und ihre Anhänger angenommen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden von 7. bis 10. Januar 2024 in Brandenburg 1007, in Sachsen 1507 und in Thüringen 1253 aus dem bevölkerungsrepräsentativen Forsa-omninet-Panel ausgewählte Wahlberechtigte befragt. Die Ergebnisse können lediglich mit den bei allen Stichprobenerhebungen möglichen Fehlertoleranzen (bei diesen drei Untersuchungen +/- 2,8 bis 3 Prozentpunkte) auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten in den drei Ländern übertragen werden.

 

Quelle