Warum der Wolf dem Menschen so ähnlich ist

30.03.2018 04:10

Wolfsexpertin Elli Radinger folgt den Spuren der Raubtiere seit fast 30 Jahren

Der Wolf ist wie der Mensch ein soziales Wesen

Foto: Moment/Getty Images

04.11.2017 - 23:15 Uhr

Sie kümmern sich um die Alten und Kranken, beim Aufziehen der Kinder hilft die ganze Verwandtschaft mit und zu besonderen Anlässen singen alle gemeinsam Lieder.

Die Rede ist hier nicht von uns Menschen, sondern vom Wolf. Den kennen wir als Märchenfigur und nun auch wieder als wildes Raubtier, das nach Deutschland zurückkehrt. Wie der Wolf wirklich tickt, erzählt uns Elli Radinger.

Die 66-jährige Hessin verfolgt die Spuren der Wölfe seit fast 30 Jahren. Für den Urahnen des Hundes gab sie ihren Beruf als Anwältin auf. Als Naturführerin und Feldforscherin in den USA erlebte sie, wie wilde Wölfe die Wälder des Yellowstone, des ältesten Nationalparks der Welt, zurückeroberten.

Um den Raubtieren nahe zu kommen, harrte sie im Winter bei bis zu minus 40 Grad Celsius aus. Über zehntausend Wolfssichtungen waren der Lohn, manche aus wenigen Metern Entfernung.

„Nach und nach lernte ich, die Welt mit ihren Augen zu sehen“, erzählt sie. Ihr Schluss: „Kein Tier ist uns vom Verhalten her so ähnlich wie der Wolf, auch Menschenaffen nicht.“

Sie ist überzeugt: „Durch die Beobachtung von Wölfen können wir viel für unser Leben lernen.“ Ihre Erfahrung hat Elli Radinger im Buch „Die Weisheit der Wölfe“ niedergeschrieben

Mit BILD am SONNTAG sprach Sie über:

Die Familie

 

Radinger: „Das Wolfsrudel besteht aus einem Elternpaar und deren Nachkommen sowie vereinzelt Onkel und Tanten. Die Welpen sind der geliebte und behütete Schatz des Rudels. Nicht allein die Eltern, sondern die ganze Verwandtschaft sorgt für sie. Der Zusammenhalt der Familie ist der wichtigste Schutz zum Überleben in der Wildnis.“

Der Chef

„Der Leitwolf muss nicht immer den Boss spielen. Er weiß, wie wichtig jeder fürs Team ist. Zieht ein Rudel durch den Schnee, preschen oft die ungestümen ein- und zweijährigen Rüden vor. Bei der Jagd überlässt er das Hetzen dem, der das am besten kann. Der Leitwolf selbst spart sich die Energie für kritische Situationen. Er übernimmt Verantwortung, wenn es drauf ankommt.“

Die mit dem Wolf tanzt: Elli Radinger (66) mit einem Polarwolf aus dem Wildpark Lüneburger Heide

Foto: Tanja Askani/Heyne Verlag

Die Schwachen

„Die Wölfe lassen die Alten und Verletzten nicht zurück, weil sie wissen, dass ihre Erfahrung wertvoll ist. So habe ich im Yellowstone beobachtet, wie ein als Leitwolf abgesetzter Wolfsrentner dank seiner Erfahrung bei der Bison-Jagd die Führung übernahm. Nur dank ihm erlegte das Rudel das eine halbe Tonne schwere Tier.“

Die Wolfsexpertin selbst verzichtet gerade aus Rücksicht auf ein alterndes Familienmitglied auf Expeditionen: „Mein Labrador-Hündin Shira ist schon 13 Jahre alt, und ich weiß nicht, wie lange sie noch lebt.“

Die Frauen

 

„Eine Wolfsfamilie braucht keine Frauenquote. Wichtige Entscheidungen trifft das Leitpaar gemeinsam. Geht es darum, welcher Weg eingeschlagen wird, wo man jagt oder welche Höhle für die Geburt der Jungen ausgesucht wird, orientiert sich das Rudel, auch der Leitrüde, im Zweifel am Leitweibchen.“

Das Wolfslied

„Wenn Wölfe kommunizieren, knurren und brummen sie, zeigen die Zähne, beknabbern sich und natürlich heulen sie gemeinsam im Chor – das festigt die Familienbande.“

Wenn Radinger Menschen zu den Wölfen führte, war das Erleben des Heulens der ergreifendste Moment. „Vielen kamen die Tränen. Schaue ich in die Augen eines Menschen, der wilde Wölfe heulen hört, spüre ich, dass wir alle noch mit der Natur verbunden sind – egal wie technisiert unser Leben auch ist.“ (vw)

Quelle