Umgang mit Depressiven: Was Experten Angehörigen raten

19.01.2022 10:30

Im Umgang mit Depressiven fühlen sich Angehörige oft unsicher. So helfen sie an Depression Erkrankten am besten.

Erkranken Verwandte an Depression, sollten sich Angehörige an professionelle Ratschläge im Umgang mit Depressiven halten. Foto: efenzi / iStock

Wenn Familienmitglieder an Depression erkranken, ist das auch für Angehörige eine große Belastung. Nicht nur, dass man mit der sonst so lebensbejahenden Schwester, der eigentlich unerschütterlichen Mutter oder dem Partner mitleidet - man will als Schwester, Tochter oder Partnerin ja auch versuchen, zu helfen.

Was man im Umgang mit Depressiven, die eben nicht nur eine kurze Phase der Niedergeschlagenheit durchmachen, beachten sollte, lesen Sie hier.

Ratschläge zum Umgang mit depressiven Angehörigen

Dass ausgerechnet jemand aus dem nahen Umfeld an Depression erkrankt, sich diese Person völlig zurückzieht und sie an Lebensmut verliert, ist für die meisten schwer zu ertragen. Damit Angehörige besser mit dieser Situation umgehen können, ist es zunächst wichtig, dass sie die Depression als Krankheit anerkennen und verstehen, dass diese Erkrankung vielfältige Ursachen hat.

Als Angehörige sollten Sie sich deshalb so früh und ausgiebig wie möglich über Depression informieren. Darüber hinaus gibt es einige wertvolle Ratschläge, die Ihnen dabei helfen werden, das Leben mit Depressiven für beide Seiten den Umständen entsprechend angenehmer zu gestalten.

Lassen Sie sich und der betroffenen Person Zeit

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe rät Angehörigen dazu, sich in Geduld zu üben und sich auf keinen Fall von dem/der Erkrankten abzuwenden - egal, wie abweisend die Person Ihnen gegenüber manchmal scheinen mag. Akzeptieren Sie, dass dieses Verhalten nicht Ihnen gilt, sondern der Krankheit geschuldet ist.

Außerdem sollten Sie sich und Ihre(n) Verwandte(n) oder Partner kontinuierlich daran erinnern, dass die Depression mit ärztlicher Hilfe in der Regel gut behandelbar ist und der akute Schmerz vorübergehen wird. Wichtig ist allerdings, sich die dafür nötige Zeit zu nehmen und alle möglichen Schuldgefühle und Ängste ernst zu nehmen - jemandem zu sagen, er oder sie solle sich doch mal zusammenreißen, ist deshalb genau der falsche Weg und kann dazu führen, dass sich die Person noch weiter zurückzieht.

Auch, wenn der oder die Depressive nur kleine Fortschritte macht oder die Person sogar gelegentlich zurückfallen sollte: Bleiben Sie geduldig und bedenken, dass der Heilungsprozess bei Depression sehr langwierig sein kann.

Depressiven helfen, indem man auf gut gemeinte Ratschläge verzichtet

Was in anderen Lebenslagen vielleicht beruhigend auf den jeweiligen Gesprächspartner wirkt, kann bei Depressiven ins Gegenteil umschlagen: Halten Sie sich deshalb mit oberflächlichen Versprechungen wie "Das wird schon wieder" zurück.

"Solche gut gemeinten, aber wenig hilfreichen Aufmunterungen verunsichern den Betroffenen noch eher", erklärt Dr. Claus Wächtler aus Hamburg, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Ebenso nutzlos sind seiner Meinung nach Versprechungen wie "Nächste Woche wird es dir sicher besser gehen", weil Sie nicht garantieren können, dass dieser Erfolg wirklich eintreten wird. Der oder die Erkrankte verlässt sich aber auf Ihr Wort und könnte mit einem Rückschlag nicht gut umgehen, das Vertrauen in Sie würde gestört.

Nicht hilfreich ist außerdem der Rat, einfach mal abzuschalten oder zu verreisen: "Eine fremde Umgebung verstört den Patienten meist zusätzlich", erklärt die Deutsche Depressionshilfe. Viel besser sei es, die Eigeninitiative des Betroffenen zu stärken.

Denken Sie bei aller Fürsorge auch an sich

Lassen Sie sich nicht so stark von der Depression eines oder einer Angehörigen vereinnahmen, dass Sie sich selbst darüber vergessen. Überfordern Sie sich mit der Pflege Ihres/Ihrer Verwandten oder der Übernahme vieler alltäglicher Aufgaben für diese Person, weil Sie über Monate hinweg nur ihr Wohl im Blick haben, treten Sie an die Grenzen Ihrer eigenen Belastbarkeit.

Damit schaden Sie langfristig auch der Genesung des depressiven Menschen, weil Sie irgendwann vielleicht keine Kraft mehr haben um ihn zu stützen. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie auch weiterhin Ihren Hobbys und Ihrem Freundeskreises nachgehen und Sie sich von der Depression Ihres/Ihrer Angehörigen abgrenzen. "Alles, was Sie entlastet, hilft auch Ihrem Angehörigen", rät die Bundesärztekammer.

Tun Sie sich also etwas Gutes und scheuen Sie nicht davor zurück, im Zweifel selbst Unterstützung in Selbsthilfegruppen für Angehörige zu suchen (eine Übersicht zu Gruppe in Ihrer Nähe bietet die NAKOS, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen). Dadurch fühlen Sie sich im Umgang mit der/dem Betroffenen vielleicht weniger ratlos. Manchmal ist es auch eine gute Idee, an einer gemeinsamen Paar- oder Familientherapie teilzunehmen.

Warten Sie ab, wenn wichtige Entscheidungen im Leben ausstehen

Depressive Menschen nehmen die Realität verzerrt war und sollten Entscheidungen, die ihre persönliche oder berufliche Zukunft betreffen, deshalb lieber nicht treffen, da sie nach überstandener Krankheit vielleicht anders darüber denken.

Die Deutsche Depressionshilfe rät deshalb, dass Sie sich diesen Umstand immer wieder bewusst machen und Ihre Verwandten oder Ihren Partner von solchen Entscheidungen fernhalten. Warten Sie lieber ab, bis es der/dem Betroffenen wieder besser geht.

Wann Sie als Angehörige stellvertretend einen Arzt aufsuchen sollten

Suchen Sie so früh wie möglich professionelle Hilfe für die an Depression erkrankte Person und machen Sie am besten selbst einen Arzttermin für sie aus. Die Betroffenen sehen Ihre Depression oft nicht als Krankheit, sondern glauben, sie allein seien schuld an ihrer seelischen Verfassung - deshalb schrecken Sie häufig davor zurück, sich behandeln zu lassen.

Außerdem sind viele nicht davon überzeugt, dass sie geheilt werden könnten oder sie fühlen sich einfach zu schwach, um zum Arzt zu gehen. Nehmen Sie als Angehörige Ihrem geliebten Menschen diese Last und unterstützen Sie ihn bei der Therapie so gut es geht.

Gehen Sie aktiv auf die depressive Person zu

Suchen Sie die Nähe zu diesem Menschen: Hören Sie ihm aufmerksam zu und trauen Sie sich nachzufragen, wie es ihm geht, wie sich die Depression anfühlt oder was er gerade braucht. So können Sie die Scham überwinden, die viele Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung haben und zeigen, dass Sie wirklich Hilfe anbieten möchten.

Achten Sie allerdings darauf, wann und wie viel Ihr Angehöriger wirklich Unterstützung haben möchte. Mischen Sie sich zu sehr ein oder bemuttern die Person geradezu, kann sich die Betroffene schnell als überflüssig empfinden. Geben Sie ihr nie das Gefühl, sie könne allein nicht im Alltag bestehen.

Wie Sie als Angehörige von Depressiven im Notfall handeln sollten

Depressive Menschen empfinden Ihre Lage manchmal als so hoffnungslos, dass sie keinen Ausweg mehr sehen und ihr Leben beenden möchten. Sollte Ihr Partner oder Ihre Verwandte/Ihr Verwandter keinen Lebenswillen mehr haben, müssen Sie sich allerdings klar machen, dass Sie dafür keine Verantwortung tragen.

Sollten Sie das Gefühl haben, dass Ihr Angehöriger in ernster Suizidgefahr schwebt, rät die Bundesärztekammer dazu, im Notfall das Gespräch mit ihm aufrecht zu erhalten. Lassen Sie den Erkrankten nicht allein, beseitigen Sie gefährliche Gegenstände und rufen Sie den Notarzt und gegebenenfalls auch die Polizei.

Mit einer Altersdepression der Eltern richtig umgehen

Durch den Verlust des Partners oder anderen Bezugspersonen, aber auch durch vermehrte körperliche Einschränkungen, sind Depressionen im Alter besonders häufig. "Etwa jeder zehnte ältere Mensch ist von einer Depression betroffen, in stationären Pflegeeinrichtungen liegt bei jedem Dritten eine Depression vor", sagt der Psychiater und Therapeut Dr. Claus Wächtler, der sich auf seelische Störungen im Alter spezialisiert hat.

Umso wichtiger ist es für Angehörige zu wissen, wie sie sich gegenüber Betroffenen verhalten sollen. Prinzipiell gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei jüngeren Depressiven, doch einige Punkte sind gerade bei Altersdepression von großer Bedeutung.

1. Schaffen Sie klar definierte und strukturierte Tages- und Wochenabläufe

Sie sollten Aktivitäten, die der/die Erkrankte gern tut, fördern und der Person gleichzeitig Rückzugsmöglichkeiten bieten. "Der Betroffene sollte klar definierte Aufgaben erhalten wie die Mithilfe beim Tischdecken, bei der Blumenpflege, etc. Körperliche Aktivität stärkt das Selbstwertgefühl", sagt Dr. Wächtler.

2. Trauen Sie sich, bei der/dem Depressiven nachzufragen

Körperliche und seelische Beschwerden im Alter können durch eine Depression verursacht werden, wenn die Symptome nicht anders zu erklären sind. Sie sollten deshalb nicht zögern, den Betroffenen darauf anzusprechen: "Wenn Ältere andeuten, keinen Sinn mehr im Leben zu sehen oder nichts mehr zu mögen, können Suizidgedanken dahinterstecken", erklärt Dr. Wächtler.

Umso wichtiger ist es, diese Gedanken genau zu hinterfragen und auch anzusprechen, um einen möglichen Selbstmord zu verhindern. Laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2018 werden immerhin etwa ein Drittel der Suizide von Menschen verübt, die älter als 65 sind.

3. Seien Sie freundlich, ermutigend, "haltend"

Dr. Wächtler erklärt: "Gerade ältere depressive Menschen reagieren sensibel darauf, wie sie angesprochen werden." Achten Sie deshalb besonders darauf, dass Sie Ihrem Angehörigen positiv und unterstützend entgegentreten.

4. Verstärken Sie positive Verhaltensweisen und Wünsche

"Damit wird das Vertrauen in eigene Fähigkeiten auf- und ausgebaut", sagt Dr. Claus Wächtler. "Mit der Zeit erkennt der Betroffene verlorene positive Ressourcen wieder und versucht sie zu nutzen."

Quelle