So gesund ist Faulenzen

11.08.2022 14:20

„Entspann‘ dich und mach‘ einfach mal gar nichts!“ Sprüche wie diesen will keiner hören, der gerade massiv unter Stress steht. Dabei sollte man ihn durchaus ernst nehmen. Denn Faulenzen tut gut!

Höher, schneller, weiter: Die Ansprüche der Gesellschaft an den Einzelnen nehmen zu und mit ihnen steigt der Leistungsdruck. Das beginnt bereits in der Schule und setzt sich fort in der Arbeitswelt und auch im Privatleben – Stichwort: Freizeitstress. Denn durch Internet, Smartphone und Co. sind wir immer und überall erreichbar und konstant aktiv. Viele Menschen stehen dadurch ständig unter Strom. Der Körper verlernt immer mehr, zu entspannen, Leerlauf und Alleinsein machen uns nervös. Die Folge: innere Unruhe, auch wenn gerade gar nichts zu tun ist. Umso wichtiger ist es, dass wir uns regelmäßig dem reinen Nichtstun hingeben und im Faulenzen üben.

Warum ist Stress eigentlich so ungesund?

Wenn wir unter Stress stehen, schüttet der Körper jede Menge Adrenalin und Cortisol aus. Diese Botenstoffe kurbeln wichtige Körpervorgänge an: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck erhöht sich, das Gehirn läuft auf Hochtouren. Zudem wird jede Menge Energie in Form von Fetten und Zucker verbraucht, um den Körper leistungsfähiger zu machen. Diese natürlichen Vorgänge sind per se nichts Schlechtes, denn sie helfen uns, Stresssituationen zu meistern.

Bedenklich wird es erst, wenn wir dauerhaft unter Stress stehen und der Körper nie zur Ruhe kommt. Der gesteigerte Fett- und Zuckerbedarf entwickelt sich zu Fressattacken und die Konzentration beginnt zu leiden. Viele Betroffene klagen zudem über Kopfschmerzen, unruhigen Schlaf, Rückenprobleme, Gereiztheit, Tinnitus und eine größere Anfälligkeit für Infekte.

In schweren Fällen kann langanhaltender Stress auch zu Depressionen führen. Wer entsprechende Symptome bei sich beobachtet, sollte unbedingt auf die Bremse treten. Wissenschaftler haben nämlich herausgefunden: Faulenzen und Nichtstun helfen tatsächlich, den Blutdruck zu senken, die Gehirnaktivitäten zu beruhigen und das Immunsystem zu stärken.

Süßes Nichtstun – darum ist Faulenzen gesund

Der Begriff „faulenzen“ hat für viele eine negative Konnotation. Sie verbinden damit die Vorstellung, dass jemand sich weigert, zu arbeiten oder etwas zu tun, das eigentlich erledigt werden müsste. Man sollte ihn jedoch nicht mit „Faulheit“, „Trägheit“ und „faul sein“ verwechseln. Positivere Bezeichnungen wären wohl „sich eine Auszeit nehmen“, „Müßiggang“ oder – immer häufiger verwendet – „Entschleunigung“. Die Italiener sprechen vom dolce far niente – dem süßen Nichtstun. An ihnen sollten wir uns ein Beispiel nehmen – und zwar ganz bewusst und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Bis ins Mittelalter hinein galt der Müßiggang in Europa als Tugend. Sokrates nannte ihn sogar die „Schwester der Freiheit“. Heute sieht das leider anders aus. „Wir Menschen haben Angst vor Momenten der völligen Entspannung, weil wir sie als verlorene Zeit empfinden”, so der französische Philosoph und Soziologe Frédéric Lenoir. „Stattdessen sollten wir lernen, sie als gewonnene Zeit wahrzunehmen“. Aber wie?

Beim Faulenzen oder Entschleunigen kommt es nicht darauf an, was man tut. Ob man auf der Couch liegt und ein Nickerchen macht, einen Film guckt, Musik hört, ein Buch liest, Sport treibt, sich Urlaubsfotos ansieht und in Erinnerungen schwelgt oder ein schönes Essen mit Freunden genießt: Hauptsache, es entspannt den Müßiggänger und lässt ihn den Alltagsstress vergessen. Aber: Das funktioniert in der Regel nicht, wenn man mehrere Dinge gleichzeitig tut und sich auf keines davon richtig konzentrieren kann.

Faulenzen ohne schlechtes Gewissen kann man lernen

Es ist Samstag, der Rest der Familie ist aus dem Haus, was jetzt? Die Wohnung putzen, den Toaster reparieren oder das Auto waschen? Die To-do-Liste für den heutigen Arbeitstag im Büro ist abgearbeitet, die acht Stunden aber noch nicht vorbei? Und nun? Den Schreibtisch aufräumen oder den Kollegen Arbeit abnehmen? Nein! Jetzt sollte dolce far niente angesagt sein.

Ohne schlechtes Gewissen zu entspannen fällt vielen Menschen schwer, ist aber reine Übungssache. Hier sind einige Tipps, die Ihnen vielleicht helfen, ihr Leben zu entschleunigen:

  • Versuchen Sie, den Kopf frei zu bekommen, um Ihre Gedanken zu sortieren und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.
  • Üben Sie sich in Gelassenheit: Machen Sie sich bewusst, dass nicht alles sofort erledigt werden muss und Sie nicht für alles verantwortlich sind.
  • Zwingen Sie sich, sich auf das zu konzentrieren, was Sie gerade tun, ohne daran zu denken, was Sie noch erledigen müssen. Der Abwasch kann nach dem Essen zum Beispiel ruhig etwas warten, das Geschirr wird Ihnen sicherlich nicht davonlaufen und die Welt auch nicht untergehen.
  • Wenn in der Arbeit heute nichts mehr ansteht und Sie alle wichtigen Dinge erledigt haben, gehen Sie doch einfach nach Hause und schalten ab. Es kommen auch wieder stressigere Tage, an denen Sie Überstunden machen müssen.
  • Definieren Sie für zu Hause feste Zeiten, zu denen Sie Ihre Emails lesen. Auf keinen Fall sollten Sie ständig auf Ihr Smartphone schielen und Nachrichten und Emails abrufen.
  • Erleben Sie Momente, in denen Sie alleine sind, bewusst. Lassen Sie nicht nebenher den Fernseher laufen, nur weil Sie aufgrund der ständigen akustischen Berieselung die Stille nicht mehr gewohnt sind.

Hilfreiche Techniken zur Entspannung

Es gibt einige Entspannungstechniken, die helfen können, abzuschalten und Gedanken zu kontrollieren. Lässt man ihnen freien Lauf, überwiegen nämlich die negativen Gedanken und Erinnerungen – das haben Studien belegt. Zu diesen Methoden der gezielten Entspannung gehören zum Beispiel:

  • Yoga
  • autogenes Training
  • progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobson
  • Meditation
  • Achtsamkeitsübungen: Sie trainieren die Konzentration der Gedanken auf das Hier und Jetzt.

So werden Sie achtsamer: Nehmen Sie den Moment wahr, ohne sich in Erinnerungen oder andere Gedankengänge zu verstricken, die die Vergangenheit oder Zukunft betreffen. Fühlen Sie in sich hinein, konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung.

Viele Menschen schrecken vor Entspannungstechniken zurück, weil sie sie als esoterisch und wirklichkeitsfremd empfinden. Unsere Empfehlung: Probieren Sie sie trotzdem einmal aus! Es gibt auch Angebote, die sehr pragmatisch und weniger spirituell gestaltet sind.

Versuchen Sie, eine gute Balance zwischen Stress und Entspannung zu halten. Wer regelmäßig faulenzt und sich etwas Muße gönnt, wird bald entspannter, ausgeglichener und gesünder werden und auf lange Sicht auch bleiben.

 

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