So bauen Menschen seit Jahrtausenden mit der Natur

09.04.2020 18:46

Schon vor dem Siegeszug der modernen Wissenschaften und Technik nutzten Menschen ausgeklügelte Bewässerungssysteme, bauten Brücken aus Pflanzenwurzeln, lebten auf schwimmenden Inseln. Ein neuer Bildband zeigt die ganze Bandbreite des Bauens mit der Natur - als Anregung für die Zukunft

Lebende Brücken: Schon seit Jahrhunderten nutzen im indischen Dschungel die Khasi im nordöstlichen Bundesstaat Meghalaya lebende Wurzeln von Gummibäumen, um Fließgewässer zur überwinden. Einmal in die richtige Richtung gelenkt, wachsen die Wurzeln im Verlauf von Jahrzehnten zu unentwirrbaren und belastbaren Tragwerken heran.

Die Subak-Reisterrassen in Bali gelten als heilig. Sie umfassen ein 20.000 Hektar großes Areal und gehören zu den produktivsten und artenreichsten agrarischen Systemen weltweit. Seit Jahrtausenden nutzen die Bauern hier natürliche Nährstoff-Kreisläufe und saisonale Regenfälle, um Reis anzubauen.

Weit weniger bekannt als römische Aquädukte sind die unterirdischen Kanäle im heutigen Iran. Dabei sind die qanats genauso bedeutend für die Entstehung der menschlichen Zivilisation. Aus den Bergen brachten sie inmitten einer wüstenähnlichen Landschaft frisches Wasser in die Städte und auf die Felder. Noch bis in die Siebzigerjahre deckten 20.000 solcher Kanäle mit einer Gesamtlänge von 170.000 Kilometern etwa drei Viertel des Wasserbedarfs des Landes. Die Löcher, die auf dem Luftbild aneinandergereiht sind, sind Schächte für Erdarbeiten und Revision

Um das Jahr 1600 machte der Stamm der Uros den Titicacasee im heutigen Peru zu seiner Heimat. Seither leben seine Angehörigen in einer Welt, die komplett aus Totora-Schilf (Schoenoplectus californicus) gebaut ist. Sogar die Inseln selbst bestehen aus riesigen Schilf-Schwimmkörpern. Auf dem größten Süßwassersee Südamerikas leben heute 2600 Menschen auf 91 Schilfinseln.

Isolation in Sichtweite: Die künstlichen Inseln der Uros auf dem Titicacasee sind nur fünf Kilometer vom Hafen der Stadt Puno entfernt.

Die Marschlandschaften im Süden des Iraks gehören zu den ökologisch, kulturell und spirituell wichtigsten Regionen im Mittleren Osten. Hier lebten 6000 Jahre lang halbnomadisch die Adan oder Ma’dan, was so viel bedeutet wie „Bewohner der Ebenen“. Auch sie bauen Häuser komplett – ohne Mörtel oder Nägel – an einem einzigen Tag auf und wieder ab.

Schilf wird von den Ma’dan zum Hausbau ebenso wie als Tierfutter genutzt. Schon vor 5000 Jahren erscheint es in sumerischen Kunstwerken.

Die Stadt Ganvie schwimmt auf dem See Nokoue im Süden Benins (Westafrika). Der Stamm der Tofinu lebt von einer Fischzucht, die industriellen Systemen heranreicht. Rund 12.000 Fischgehege liegen in der unmittelbaren Umgebung der Stadt auf künstlichen Riffen. Wichtigstes Transportmittel: der Einbaum.

Als vor rund dreihundert Jahren die moderne Wissenschaft und Technik ihren Siegeszug antraten, geriet indigenes Wissen in der westlichen Welt schnell in Vergessenheit.  

Doch heute werden die katastrophalen Folgen des erdölbasierten Raubbaus an der Natur – Klimaerhitzung, Bodenverarmung, Artensterben sind nur einige Beispiele – offensichtlich.

Und die alten Techniken, die es den Menschen Tausende Jahre lang erlaubten, auskömmlich mit und von der Natur zu lernen, werden wieder interessant.

Autorin Julia Watson findet faszinierenden Beispiele

In ihrem Buch Lo-TEK. Design by Radical Indigenism erkundet die Wissenschaftlerin und Autorin Julia Watson traditionelle Lebensweisen rund um den Globus: als Inspiration für eine nachhaltigere Zukunft.  

Von Peru bis zu den Philippinen reichen die faszinierenden Beispiele, wie Menschen seit Jahrtausenden in, mit und von der Natur leben, ohne sie zu zerstören.

Quelle