Ohrfeigen & Co. Jeder Zweite hält Gewalt in der Erziehung für angebracht

25.11.2020 08:47

Die Anwendung von Gewalt in der Erziehung hat laut einer Studie in den vergangenen Jahren grundsätzlich zwar abgenommen. Die Umfrage bestätigt aber auch, dass die Akzeptanz von Ohrfeigen & Co. nach wie vor viel zu hoch ist.

Am 8. November 2000 wurde das Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung in Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gesetzlich festgeschrieben. Und seitdem hat es laut einer neuen Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm in Zusammenarbeit mit UNICEF Deutschland und dem Deutschen Kinderschutzbund auch eine positive Entwicklung gegeben. Die Umfrage, deren Ergebnisse auf "unicef.de" veröffentlicht wurden, zeigt aber auch, dass Gewalt gegen Kinder häufig immer noch akzeptiert wird. Vor allem "leichtere Körperstrafen" seien demnach "bei einem erschreckenden Teil der deutschen Bevölkerung" verbreitet.

Jede Ohrfeige ist eine zu viel

Das Ulmer Forschungsteam befragte in seiner Untersuchung 2.500 repräsentativ ausgewählte Eltern. Die Forscher konnten zunächst einen Rückgang der Anwendung und Akzeptanz von gewalttätigen Erziehungsmethoden seit dem Jahr 2000 feststellen. Das klingt nach einer guten Nachricht, aber: Der Anteil der Eltern, die zumindest bestimmte Formen der Züchtigung für ein geeignetes Erziehungsmittel halten und auch anwenden, ist nach wie vor zu hoch.

Die Akzeptanz von Gewalt ist zurückgegangen – und immer noch zu hoch

Laut den Forschern gaben bei einer vorausgegangenen Studie im Jahr 2005 noch etwa 75 Prozent der Befragten an, einen "Klaps auf den Hintern" zur Maßregelung ihrer Kinder eingesetzt zu haben. 2016 waren es dann nur noch 44,7 Prozent und aktuell gaben das 42,7, Prozent der Befragten an. 2005 hatten 53,7 Prozent schon einmal eine "leichte Ohrfeige" ausgeteilt, 2016 waren es nur noch 17. Aktuell ist dieser Wert wieder auf 17,6 Prozent gestiegen. Die Anwendung dieser Körperstrafen hat laut dem an der Studie beteiligten Psychotherapeuten Doktor Jörg M. Fegert (60) zwar "ein Plateau erreicht", trotzdem seien immer noch viel zu viele Kinder von Gewalt in der Erziehung betroffen.

Wer in seiner Erziehung Gewalt erlebt hat, der stimmt ihr auch eher zu

Die Akzeptanz von Gewalt hat auch etwas mit Faktoren wie Geschlecht, dem Alter und den eigenen Gewalterfahrungen zu tun. 57,8 Prozent aller befragten Männer hielten einen Klaps auf den Hintern für durchaus annehmbar, auch wenn sie persönlich nicht unbedingt zu dieser Maßnahme greifen. Bei den Frauen waren es noch 47,1 Prozent – insgesamt hat also mehr als jeder Zweite gegen diese Gewaltform nichts einzuwenden!

Je jünger die Befragten, desto mehr nahm die Zustimmung ab. Bei den unter 31-Jährigen fanden sich nur noch 44,6 Prozent Klaps-Befürworter, bei den über 60-Jährigen waren es allerdings 65,3 Prozent. Menschen, die in ihrer Kindheit selbst Körperstrafen erfahren haben, stimmten der Aussage "Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet" viel eher zu, als jene, die solche nicht erlebt hatten – und zwar 16-mal häufiger!

Gewalt wird verharmlost und verschwiegen

Fegert kommt in der Zusammenfassung der Studie zu folgendem Schluss: "Die Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung hat wesentlich dazu beigetragen, einen neuen Tiefstand bei der Akzeptanz körperlicher Strafen zu erreichen." Er warnt aber auch: "Doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Denn noch immer verharmlosen zu viele Menschen körperliche Übergriffe wie Ohrfeigen. Auch psychische Gewalt, die häufigste Form der Misshandlung, wird viel zu häufig tabuisiert. Unsere Gesellschaft muss akzeptieren, dass Gewalt viele Gesichter hat und Kindern immer schadet." 

Um Kinder angemessen zu schützen, müsse vor allem das immer noch weitverbreitete "gesellschaftliche Schweigen" endlich gebrochen werden

Quelle