Masken, Verbote und wilde Theorien: Wo Pest und Corona Parallelen haben

09.04.2020 18:52

Viele Dinge, die wir in der Corona-Krise erleben, gab es bereits in früheren Jahrhunderten - als die Pest ganz Europa verheerte

Als vor gerade mal drei Monaten in der chinesischen Metropole Wuhan erstmals eine rätselhafte Lungenerkrankung auftrat, schien die Pandemie vielen noch ein Begriff aus der fernen Geschichte. Ursprung des Coronavirus war wahrscheinlich ein Wildtier auf einem Markt: Eine Fledermaus fungierte als Wirt, ein Schuppentier als Zwischenwirt auf dem Weg des Virus in den menschlichen Organismus. Die Infektionskette erinnert an den Ausbruch der Pest im Mittelalter. Möglicherweise übertrug damals der Floh einer Springmaus oder eines anderen Nagetiers den – bakteriellen – Erreger Yersinia pestis auf eine Ratte, von der dieser auf Rattenflöhe überging und dann auf Menschen. Diese gaben die Krankheit durch Tröpfcheninfektion weiter. Die Seuche nahm ihren Lauf, wurde zur Pandemie – und zur größten Naturkatastrophe der Menschheit.

Ob die Pest ihren Ausgang in China oder in Zentralasien nahm, ist dem Historiker Alexander Berner zufolge umstritten. „Gewiss ist aber, dass sich die Krankheit über kleinräumige Netzwerke, aber auch über den Fernhandel immer großflächiger verbreitete“, sagt er.

Pest kam über die Seidenstraße ans Mittelmeer

Diese Netzwerke waren Teil der legendären Seidenstraße: einer Handelsroute, die China mit dem Mittelmeer verband. Der Anthropologe und Umwelthistoriker Bernd Hermann zeichnet den Weg so nach: „1331 bis 1346 ist der Erreger nach Westen gewandert, was durch erhöhte Sterblichkeit in den Karawansereien nachgewiesen ist. 1346 kam er nach Astrachan, an die Wolga und an den Don. 1347 wurde Kaffa erreicht, eine genuesische Siedlung am Schwarzen Meer.“ Und von dort brachten Genuesen die Pest mit ihren Schiffen, mit denen sie vor den Mongolen flüchteten, weiter in den Mittelmeerraum. Ein Jahr später war sie in Marseille, erreichte Venedig und Pisa, 1353 schließlich Moskau. 

Die bereits gut ausgebaute Infrastruktur und die zunehmende Mobilität der Menschen in Europa machte es dem Schwarzen Tod leicht, seinen Arm rasch und immer weiter auszustrecken. Hinzu kam, dass im „Jubeljahr“ 1350 sehr viele Pilger unterwegs waren: Papst Clemens VI. hatten ihnen besonders wirkungsvolle Ablässe versprochen, wenn sie die heiligen Orte des Christentums besuchen würden. Binnen weniger Jahre konnte sich die Pest so über ein sehr großes Gebiet verbreiten und tötete in Europa allein zwischen 1346 und 1353 rund 25 Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung – und in mehreren Ausbruchswellen noch einmal Millionen in den nachfolgenden Jahrhunderten. „Viele Menschen mussten sie mindestens einmal im Leben erleiden“, sagt Alexander Berner, der als Experte für die Geschichte der Pest die Ausstellung „Pest! Eine Spurensuche“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne mitkonzipierte.

Verschwörungstheorien machten die Runde

Die Naturwissenschaft stand zu dieser Zeit erst ganz am Anfang, die Mikrobiologie und Virologie gab es noch nicht. Verschwörungstheorien machten die Runde. Eine der furchtbarsten richtete sich gegen Juden, denen vorgeworfen wurde, Brunnen vergiftet zu haben. Ein ganz anderer Erklärungsversuch war die Miasmentheorie: Krankmachende, schlechte Luft, etwa üble Dämpfe aus der Erde, gelangte ihr zufolge in den Körper, wo sie ein Ungleichgewicht der Körpersäfte auslöste. Überdies bewirkten die Pestmiasmen „einen Überschuss an Blut und damit an Feuchtigkeit und Hitze, was wiederum zu Fäulnis führte, die das Herz der Patienten bedrückte und den Körper vergiftete“, erläutert die Historikerin Katharina Wolff. Der schlechten Luft selbst schrieb man ebenfalls toxische Eigenschaften zu: Sie drang als Gift in den Körper ein, sammelte sich in den Pestbeulen und um das Herz.

Die Pest konnte als Miasma – in diesem Fall durch schlechte Atemluft – weitergegeben werden. Um sich zu schützen, benutzten viele Menschen daher eine frühe Version des Mundschutzes: Manche hielten sich in Essig getränkte Schwämme vors Gesicht, andere mit Kräutern gefüllte Tücher.

Ganz ähnlich wirkte auch die für Ärzte im 17. Jahrhundert entwickelte Schutzkleidung. Sie trugen ein Gewand aus gepresstem Leinen oder Ziegenleder, an dem Keine nicht leicht haften blieben, und vor dem Gesicht eine Schnabelmaske, die mit wohlriechenden und zugleich schützenden Substanzen gefüllt war. Die bis zu 20 Zentimeter lange Vorrichtung führte zur Bezeichnung dieser Pest-Mediziner als „Schnabeldoktor“.

Versammlungen wurden verboten

Überdies wurde schon damals versucht, die Ausbreitung der Seuche einzudämmen. So rieten die Behörden vom Aufenthalt in größeren Menschenmengen ab, selbst die für die Versorgung so wichtigen Märkte wurden vielerorts abgesagt. „In den meisten Städten gab es damals Pestordnungen, in denen solche Maßnahmen festgelegt waren“, sagt der Historiker Berner.

Das Versammlungsverbot traf selbst religiöse Veranstaltungen. Während des Pestausbruchs in Moskau 1770/71 suchten viele Gläubige Trost und Rettung bei einer Ikone mit dem Abbild der Gottesmutter am Barbara-Tor, neben der ein Kasten für Spenden angebracht war. Von der Kirche nicht anerkannte Geistliche hielten dort Gottesdienste ab. Erzbischof Ambrosius erkannte jedoch die Gefahr, die von dieser Massenveranstaltung ausging, untersagte sie zunächst und ließ dann die Ikone und die Spendenbox entfernen. Das ließen sich die Gläubigen nicht bieten. Der „Raub der Gottesmutter“ führte zu Plünderungen, sogar zur Ermordung des Erzbischofs. Die Ereignisse gingen als Moskauer Pestrevolte in die Geschichte ein.

Ganze Dörfer wegen der Pest in Quarantäne

Vor wenigen Tagen, am 23. März, wurde die Kleinstadt Neustadt am Rennsteig unter Quarantäne gestellt, Polizei und Feuerwehr riegelten alle Zufahrtsstraßen ab. Ähnlich erging es, ebenfalls in Thüringen, während eines Pestausbruchs 1681 bis 1684 dem Ort Niederzimmern. Nachdem dort die ersten Menschen an der Seuche gestorben waren, wurde das Dorf abgeriegelt und unter Androhung der Todesstrafe untersagt, es zu verlassen – unter allen Umständen sollte die Pest von der Stadt Erfurt ferngehalten werden. Das Vorhaben misslang, zwischen 10.000 und 16.000 Menschen starben dort an der Krankheit.

Erfolgreicher verlief die Quarantäne in Eyam, einem Dorf im mittelenglischen Derbyshire. Als die Pest sich 1665/66 von London aus verbreitete, entschieden die Bewohner, ihren von der Krankheit befallenen Ort freiwillig von der Außenwelt zu isolieren. An diese Zeit erinnert ein Grenzstein mit sechs Löchern. Um Eyam zu versorgen, legten Händler dort ihre Waren ab und zogen sich zurück. Die Dorfbewohner trafen eine Auswahl – und zahlten an Ort und Stelle, indem sie ihren Münzen in den Vertiefungen des Steins hinterließen. Diese waren mit Essig gefüllt, um die Geldstücke sichtbar zu reinigen. Für die Menschen aus Eyam endete dieser Pestausbruch in einer Tragödie: Der Überlieferung nach überlebten nur 83 der zuvor rund 350 Bewohner. Die Seuche verbreitete sich hingegen nicht weiter nach Norden.

Quelle