Kommt Olaf Scholz ins Kanzleramt, nimmt er eine tickende Zeitbombe mit

15.09.2021 10:14

Der SPD-Kanzlerkandidat hat, gemessen an den aktuellen Umfragen, die beiden Finanzskandale, in die er mehr oder weniger verstrickt ist, ohne Blessuren überstanden. Als Kanzler könnten ihn jedoch sowohl das Wirecard-Fiasko aus auch das Cum-Ex-Debakel einholen.

Olaf Scholz hatte Glück. Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, fragte im Triell ihren SPD-Konkurrenten: "Wird das Protokoll jetzt noch offengelegt vor der Wahl?" Gemeint war ein als geheim eingestuftes Dokument mit den Aussagen von Scholz im Finanzausschuss des Bundestages im Sommer vergangenen Jahres. Aber die Moderatoren des verbalen Dreikampfes am Sonntagabend gingen zum nächsten Thema über – der Finanzminister kam um eine Aussage herum.

Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar hätte nur zur gerne gehört, was Scholz darauf zu sagen hat. „Ich dachte: Meine Güte, warum lassen die Scholz nicht antworten. Durch das Protokoll könnte sich die Öffentlichkeit ein Bild davon machen, ob Scholz gelogen hat oder nicht, was etwa die Zahl seiner Treffen mit Olearius angeht."

Scholz fehlen "aktive Erinnerungen" an die Gespräche

Christian Olearius ist einer der Haupteigner der Hamburger Warburg-Bank. Die Finanzbehörde des Stadtstaates verzichtete 2016 – zu der Zeit war Scholz dort Regierender Bürgermeister – auf 47 Millionen Euro mutmaßlich fälliger Steuernachzahlungen. Weitere 43 Millionen Euro wurden 2017 von der Privatbank erst eingefordert, nachdem Hamburg eine Weisung des Bundesfinanzministeriums erhielt, das damals dem CDU-Politiker Wolfgang Schäuble unterstand.

Scholz betont ein ums andere Mal: "Es hat keinen Einfluss der Politik auf Entscheidungen der Finanzverwaltung gegeben." Er macht Gedächtnislücken geltend und korrigierte im Laufe der Zeit Angaben zur Zahl der Gespräche mit Olearius, an die er keine „aktive Erinnerung“ habe. Der Banker, gegen den ermittelt wird, und sein Kreditinstitut erklären, sie fühlten sich „dem Rechts- und Wertesystem unseres Staates und unserer Gesellschaft zutiefst verpflichtet“. Nach Darstellung seiner Anwälte hat sich Olearius „nie mit unzulässigen, rechtswidrigen Forderungen oder Wünschen an die Fiskalverwaltung oder Politiker gewandt“.

Warum ließ sich das Bundesland 90 Millionen Euro entgehen?

Nach wie vor aber ist unklar: Warum ist ein Bundesland dazu bereit, sich 90 Millionen Euro durch die Lappen gehen zu lassen, die aus zwielichtigen Cum-Ex-Geschäften stammten? Die Opposition, sowohl im Hamburger Landesparlament als auch im Bundestag, zweifelt an der Version von Scholz. Richard Seelmaecker, CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft zum Cum-Ex-Skandal, nennt „die Behauptung“ von Scholz, alles vergessen zu haben, „eine glatte Lüge“. Der Christdemokrat sagt im Gespräch mit FOCUS Online: "Wir werden keine schriftliche Anweisung von Scholz finden, auf der steht: Erlasst der Bank das Geld. Dafür ist er zu klug.“

Seelmaeckers Einschätzung nach gibt es „schon jetzt erdrückende Belege, die den Rückschluss zulassen, dass während Scholz' Regierungszeit in Hamburg genau darauf hingearbeitet“ worden sei. Sicher sei, dass „die Brandmauer zwischen Finanzamt und Ministerialebene“, von der Scholz und sein Nachfolger im Amt des Bürgermeisters, Peter Tschentscher (ebenfalls SPD) ständig sprächen, nie existiert habe, sagt Seelmaecker im Gespräch mit FOCUS Online. „Das wird eindrucksvoll belegt durch die Akten und die bisherigen Zeugenaussagen." Als Beispiel nennt der CDU-Politiker „die Betriebsprüfer, die die Millionen auf alle Fälle zurückfordern wollten, aber von der höheren Behördenebene ausgeschaltet worden“ seien. 

Seelmaeckers SPD-Pendant im Hamburger U-Ausschuss widerspricht entschieden. Bisher hätten sämtliche Zeugen aus unterschiedlichen Ämtern und Behörden, unter ihnen der Leiter der Steuerabteilung in der Finanzbehörde, "unabhängig voneinander sehr deutlich" den Verdacht einer Einflussnahme durch die Politik in der Sache zurückgewiesen. Die von der Opposition trotz eines klaren Dementis der Finanzbehörde aufgestellte „Behauptung“, Tschentscher – der unter Scholz Finanzsenator war – habe sich „durch Unterstreichungen in einem Schreiben der Bank“ für Warburg ins Zeug gelegt, habe „eindeutig widerlegt“ werden können.

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