Fibromyalgie verstehen lernen: Wir sind keine Hypochonder

21.10.2020 14:31

Wie sich ein Leben mit Fibromyalgie wirklich anfühlt, können sich Außenstehende nur schwer vorstellen. Wir haben im Gespräch mit einer Betroffenen erfahren, was diese Erkrankung so tückisch macht und warum sich im Umgang mit dem Syndrom noch einiges ändern muss.

Inhaltsverzeichnis

  • Fibromyalgiker rutschen häufig in die soziale Isolation
  • Medikamente & Co.: "Es gibt nichts, was uns wirklich hilft"
  • Selbsthilfegruppen zeigen: Ich bin nicht allein
  • Der Schmerz ist immer da, aber das Leben geht weiter
  • Fibromyalgie als finanzielle und familiäre Belastungsprobeme
  • Kampf um Akzeptanz und Therapiemaßnahmen
  • DFV arbeitet daran, "Dinge ins Rollen zu bringen"

Noch immer dauert es oft viel zu lang, bis Fibromyalgie-Patienten die richtige Diagnose gestellt bekommen - und wenn es dann irgendwann so weit ist, fühlen sich diese häufig in ihrer Not allein gelassen. Zum Teil auch deshalb, weil viele Ärzte diese chronische Erkrankung, die sich unter anderem durch starke Schmerzen im ganzen Körper und Erschöpfungszustände äußert, nicht ernst nehmen. Umso stärker kämpft die selbst betroffene Carmen Redel (54) gemeinsam mit der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung (DFV) e.V. dafür, die Öffentlichkeit mehr für dieses Syndrom zu sensibilisieren.

Die in Niedersachsen lebende Fibromyalgikerin ist nicht nur Schriftführerin und Vorstandsmitglied der DFV, sondern sie kümmert sich in der Vereinigung vor allem um die ehrenamtliche Beratung anderer Betroffener und leitet die Selbsthilfegruppe in Goslar. Im Gespräch mit uns verrät Carmen Redel, warum Selbsthilfegruppen für Menschen mit Fibromyalgie so überaus wichtig sind, wieso es darüber hinaus keine wirkliche Hilfe für Erkrankte gibt und was sich im deutschen Gesundheitssystem ihrer Meinung nach grundlegend ändern sollte.

Liebenswert: Frau Redel, Sie leben seit 2012 mit der Diagnose Fibromyalgie - könnten Sie uns einmal Ihren beschwerlichen Weg von Arzt zu Arzt schildern, den Sie bis dahin auf sich nehmen mussten?

Carmen Redel: Also ich hab die Erkrankung ganz sicher schon von Kindesbeinen an. Ich hatte mal einen Unfall und man sagt heute, dass so ein Trauma Fibromyalgie auslösen kann, weil es ja eigentlich auch eine Übersensibilität ist, die wir haben. Also wir sind wesentlich empfindlicher, was Schmerzen angeht. Bei mir hat man dann jahrelang gedacht, es sei Rheuma - bis irgendwann ein Orthopäde gesagt hat, es handle sich um Ganzkörperschmerz. Ich muss sagen, dass ich da fast über den Tisch gesprungen wäre und dachte: Was für ein Idiot! Aber eigentlich trifft es das schon auch ganz gut. Es ist ein Ganzkörperschmerz, der täglich, stündlich oder sogar minütlich wandern kann.

Fibromyalgiker rutschen häufig in die soziale Isolation

Können Sie uns die Art Ihrer Schmerzen und weiterer Beschwerden vielleicht genauer beschreiben?

Bei mir sind ganz extrem die Beine betroffen. Es ist, als hätte ich Muskelkater wie nach einem Marathon und ich bin zerschlagen, als wenn ich nächtelang nicht geschlafen hätte. Man kann vor Schmerzen einfach nicht mehr im Bett liegen, steht dann auf und denkt: Eigentlich bin ich noch genauso kaputt wie gestern Abend und überhaupt nicht erholt. Die meisten Fibromyalgie-Patienten haben keine Tiefschlafphase. Da spielt es dann überhaupt keine Rolle, ob man drei oder zehn Stunden schläft. Wir sind auch immer verspannt. Ich werde oft nachts wach und denke, dass ich die Bettdecke ja gar nicht wie verrückt festhalten muss! Dadurch, dass man die Muskeln immer so anspannt, erholen sie sich nie richtig, was irgendwann auch psychische Probleme verursacht. Man ist immer müde, hat Konzentrationsschwierigkeiten, aber man kann einfach nicht schlafen. Das ist ein wahnsinniger Kreislauf.

Kann man denn sagen, dass die Nächte generell schlimmer zu ertragen sind als die Tage?

Da sich die Fibromyalgie mit so einer Bandbreite an Symptomen äußern kann, lässt sich das nicht verallgemeinern. Vom Reizdarm bis hin zu Migräne und Arthrose gehört einiges dazu. Wir haben auch alle Probleme mit den Zähnen, weil wir sie nachts zusammenpressen und mit ihnen knirschen. Wie sich das dann für jeden Einzelnen aushalten lässt, ist unterschiedlich - also ob jemand gut durch die Nacht kommt oder besser durch den Tag. Man ist aber auf jeden Fall zu jeder Zeit gleich erschöpft.

Gibt es im Alltag Tätigkeiten, die für Sie persönlich besonders schmerzvoll sind? Wo sich Außenstehende gar nicht vorstellen können, dass Ihnen das Beschwerden verursacht?

Eigentlich alles. Das fängt schon beim Laufen, Sitzen und Stehen an: Das können wir zwar an sich noch prima, aber nur für kurze Zeit. Die Anspannung der Muskeln ist dabei so groß, dass es auf Dauer einfach nicht auszuhalten ist. Wenn man lange sitzt, muss man irgendwann aufstehen und sich bewegen und wenn man läuft, denkt man bald: Ich muss mich unbedingt hinsetzen. Das ist natürlich besonders schwierig, wenn man Termine hat und man ist auch einfach ständig erschöpft. Deswegen geraten so viele Betroffene in die soziale Isolation. Wenn man im Freundes- oder Bekanntenkreis das dritte Mal sagt, dass man nicht kommen kann, obwohl man sich zwei Stunden vorher noch ganz fröhlich zum Kaffeetrinken verabredet hat, dann rufen die irgendwann nicht mehr an.

Medikamente & Co.: "Es gibt nichts, was uns wirklich hilft"

Haben Sie selbst schon erlebt, dass Sie mit Ihren Beschwerden bei Freunden und Bekannten auf Unverständnis gestoßen sind? Viele halten an Fibromyalgie Leidende ja auch für Hypochonder und denken, man würde sich die Schmerzen nur einbilden.

Natürlich - und dadurch, dass ich so viele Selbsthilfegruppen betreue, höre ich solche Geschichten auch leider aus allen Ecken. Wenn ich mit einem Außenstehenden über meine extremen Beinschmerzen spreche und mir dann gesagt wird, ich solle dagegen doch einfach mal ein bisschen Magnesium nehmen, dann kann ich das nicht fassen. Die Leute verstehen es einfach nicht. Was bei normalen Menschen vielleicht hilft, nützt uns gar nichts. Nachweislich gibt es nichts, was für uns wirklich hilfreich ist. Man kann zwar etwas Funktionssport machen, wie zum Beispiel Wassergymnastik, oder unter Umständen mit Antidepressiva eine Besserung feststellen, weil diese die Schmerzschwelle senken, aber prinzipiell gibt es für uns keine Hilfe.

Eine rein medikamentöse Behandlung würde wahrscheinlich auch zu kurz greifen, oder? Weil eben nichts die Beschwerden dauerhaft lindert und es ja nicht sinnvoll sein kann, ein Leben lang Schmerzmittel einzunehmen - sofern diese im Einzelfall überhaupt eine Wirkung zeigen.

Das Fatale ist, dass es in den Schmerztherapien oft so weit geht, dass Opiate verordnet werden, die nachweislich kontraproduktiv sind.

Sie haben gerade bereits Ihre Selbsthilfegruppentätigkeit erwähnt. Wie kam es denn überhaupt dazu, dass Sie sich so engagieren?

Man steht mit seiner Diagnose einfach völlig allein da. Zwar freut man sich, sobald man diese endlich bekommen und die Ungewissheit ein Ende hat, aber dann merkt man schnell: Mir kann nichts und niemand helfen. Die Krankheit ist auch nach wie vor nicht allgemein anerkannt. Es gibt immer noch Ärzte, die sagen, dass es eine eingebildete, erfundene Krankheit sei. Familie und Freunde verstehen zum Großteil auch nicht, was da mit einem passiert. Ich bin dann in eine Selbsthilfegruppe gegangen, die mir leider nicht gefallen hat und schnell kam mir der Gedanke, dass ich eine eigene gründen muss.

Aus welchem Grund haben Sie die ursprüngliche Gruppe wieder verlassen?

Das war eher ein Häkel- und Bastel-Club, wo von Anfang an gesagt wurde, dass nicht über die Krankheit gesprochen wird. Für mich hat das einfach keinen Sinn gemacht. Vor fünf Jahren hab' ich dann mit meiner Freundin Bärbel Wolf unter dem Dachverband der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung (DFV) eine eigene Gruppe in Schönwalde-Glien bei Berlin aufgemacht - und wir sind dann auch bald gefragt worden, ob wir nicht in den Vorstand des Verbandes eintreten wollen. Inzwischen ist sie die Vorsitzende der DFV, ich bin Schriftführerin und berate die Selbsthilfegruppen der DFV. Ich muss sagen: Das ist anstrengend und es gibt Tage, da könnte ich das Telefon aus dem Fenster schmeißen (lacht). Aber man kriegt ganz viel zurück. Es rufen einen ja die unterschiedlichsten Leute an. Manch einer ist so am Boden, dass er vor lauter Heulen gar nicht sprechen kann und auf der anderen Seite gibt es Angehörige, die sich melden und sagen: Der spinnt doch! Wenn man dann merkt, dass man auf diese Menschen doch positiv einwirken kann, ist das unglaublich schön.

Selbsthilfegruppen zeigen: Ich bin nicht allein

Was hilft Fibromyalgie-Erkrankten Ihrer Meinung nach am ehesten, um das Leben ein wenig erträglicher zu machen?

Für mich gibt es nur eins, das die Schmerzen lindern kann: Das Anerkennen der Krankheit. Man muss sie für sich selbst annehmen und aufhören nachzuforschen, ob nicht doch noch etwas Anderes dahintersteckt oder sich Fragen zu stellen wie: Warum hat es ausgerechnet mich getroffen? Können mich die anderen verstehen? Das muss einem alles irgendwann egal sein. Das ist etwas, was man in einer Selbsthilfegruppe erfährt. Man merkt, dass man längst kein Einzelfall ist. Damit wächst auch das eigene Verständnis. Und wenn man beim Aufstehen merkt, dass es heute mal wieder schlimmer ist, muss man sich sagen: den Tag kriege ich auch irgendwie rum. Man darf sich nicht die ganze Zeit ärgern und an den Schmerzen verzweifeln - dann geht es einem nur noch schlechter!

Wie haben Sie es geschafft, Ihre Krankheit und Ihre Beschwerden so anzunehmen? Ich stelle es mir als einen sehr schwierigen Prozess vor, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Der Umgang mit anderen Betroffen hilft dabei schon sehr - zu sehen, dass es ihnen genauso geht und man die Gewissheit hat, dass einem in der Selbsthilfegruppe jederzeit ein offenes Ohr angeboten wird oder man sagen kann, dass man einfach mal in den Arm genommen werden möchte. Und wenn man einmal nicht zu den Treffen kommen kann, dann muss man sich dafür auch nicht rechtfertigen. Wenn jemand aus der Gruppe aber ein Problem und deshalb Gesprächsbedarf hat, dann hat das bei unseren Treffen auch immer Vorrang. Ansonsten konzentrieren wir uns zusammen allerdings eher darauf, was unser Schmerzempfinden vielleicht verändern kann und wie wir es uns gutgehen lassen können. Wir versuchen unter anderem, auch mit Ernährungsberatung und Achtsamkeitstraining zu helfen. Sie glauben gar nicht, wie die Leute durchs Leben gehen und gar nicht mehr wahrnehmen, wie viele schöne Momente es immer noch zu bieten hat. Man stirbt an Fibromyalgie ja nicht. Eins unserer Mottos ist: Lachen ist die beste Medizin. Man muss es irgendwann einfach akzeptieren, dass man nie mehr ohne Schmerzen sein wird und dass sich jeder Tag, jede Stunde anders anfühlen kann.

Der Schmerz ist immer da, aber das Leben geht weiter

Gibt es Ihrer Erfahrung nach überhaupt Tage, die komplett schmerzfrei sind?

Es ist eigentlich immer Schmerz da, aber man nimmt ihn irgendwann nicht mehr so wahr. Er steht zumindest nicht an erster Stelle - an erster Stelle stehe immer ich, erst dann kommt der Schmerz.

Sie sind gelernte Drogistin. Können Sie Ihren Beruf überhaupt noch ausüben?

Nein. Ich bin erwerbsunfähig, was aber auch noch an anderen Erkrankungen liegt. Leider sinkt damit auch der Wert in der Gesellschaft und viele Erwerbsunfähige werden zum Sozialfall.

Man liest ganz häufig, dass Menschen mit Fibromyalgie nicht mehr arbeiten gehen können - was angesichts der Schmerzen auch leider kein Wunder ist.

Die Schmerzen sind das eine, aber da gibt es ja auch noch das Problem der großen Erschöpfung (gerade am frühen Morgen) und die Konzentrationsschwierigkeiten. Sie glauben ja gar nicht, wie oft ich von vorne anfangen muss, wenn ich zum Beispiel etwas ausrechnen will. Ich muss mir auch alles aufschreiben - und lasse den Zettel dann im Zweifel noch irgendwo liegen. Man kennt ja das Gefühl, wenn man gefeiert und auch ein bisschen viel getrunken hat: dann tut einem am nächsten Tag alles weh und man ist total erschöpft. So geht es uns auch, allerdings ständig. Damit rutschen natürlich viele in die Erwerbsunfähigkeit, obwohl wir eigentlich schon leistungsfähig sind - aber eben nur zu Zeiten, die wir selbst bestimmen können und an Tagen, an denen es uns besser geht.

Fibromyalgie als finanzielle und familiäre Belastungsprobeme

Haben Sie aufgrund dieser Problematik auch Existenzängste?

Natürlich. Ich finde, es ist auch ein Unding, dass man nur eineinhalb Jahre lang krank sein darf - egal, welche Krankheit man hat - und man dann arbeitslos wird. Bin ich nach der Zeit automatisch gesund, oder wie? Dadurch ist natürlich eine Existenzangst da. Man verliert ja automatisch seinen Job, wenn man denn einen hat, und es ist nicht erstrebenswert, mit 55 Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu bekommen. Deren Höhe kann man sich ja vielleicht vorstellen - die liegt weit unter dem Existenzminimum. Das belastet dann natürlich auch die Familie.

Wie geht denn Ihre Familie mit Ihrer Erkrankung und den damit verbundenen (finanziellen) Schwierigkeiten um?

Mein Partner und meine Familie tragen das mit und akzeptieren es. Sie sind da zum Glück sehr verständnisvoll. Aber in vielen Familien sieht das ganz anders aus.

Der Rückhalt von Angehörigen, die nicht an Fibromyalgie leiden, ist ja sicher noch mal ein ganz anderer als der, den man von anderen Erkrankten erfährt - aber bestimmt genauso wichtig, oder?

Ja, deswegen bin ich auch ganz stolz - und das muss ich wirklich so sagen - dass in unserer Selbsthilfegruppe auch ganz viele Angehörige sind. Uns ist es gelungen, viele Frauen und Männer davon zu überzeugen, ihre erkrankten Partner zu begleiten. Das verändert natürlich ganz viel.

Das kann ich mir gut vorstellen. Man ist dann nicht mehr so außen vor und bekommt vielleicht erst durch die Treffen eine Vorstellung davon, wie es dem Partner wirklich geht.

Ich lache ja immer und sage: Die merken dann erst mal, dass sie kein Sonderexemplar zu Hause haben (lacht). Dann entspannt sich natürlich auch die Lage in der Familie. Wenn die Angehörigen Vorträge über Fibromyalgie mit anhören oder einfach mal mit bei den Treffen sind und erleben, wie lustig und aufgeschlossen wir alle sind, verändert sich ihre Sicht auf diese Krankheit. Wir sind eben nicht alle Trauerklöße, sondern werden häufig erst dazu gemacht, weil man uns nicht versteht. Wenn heute noch Betroffene davon erzählen, dass sie von ihrem Arzt zu hören gekriegt haben, das sei eine erfundene Krankheit, dann könnte ich direkt hinfahren und dem eine vor den Kopf hauen.

Kampf um Akzeptanz und Therapiemaßnahmen

Wie kann es denn sein, dass sich da nicht mal grundlegend etwas ändert? Warum ist diese Meinung unter Ärzten immer noch so verbreitet?

Wir sind mittlerweile ja ganz guter Hoffnung. Es soll angeblich bald dazu kommen, dass die Fibromyalgie als chronische Schmerzerkrankung eingestuft wird - dann könnte es mit der Akzeptanz vielleicht doch endlich ganz anders aussehen. Was ich ganz schlimm finde, ist, dass Fibromyalgie häufig noch mit Weichteilrheuma gleichgesetzt wird. Dabei ist das totaler Quatsch! Die Beschwerden sind zwar ähnlich, aber bei der Fibromyalgie wesentlich ausgeprägter und im Gegensatz zum Rheuma lässt sich nichts dagegen tun. Ich kann Cortison nehmen, aber ich kann es auch lassen - der Erfolg ist der gleiche.

Was gibt es Ihrer Meinung nach denn noch für Irrtümer zur Fibromyalgie?

Prinzipiell hält sich weiterhin hartnäckig die Annahme, dass es sich dabei um eine psychosomatische Erkrankung handelt. Das ist der schlimmste Irrtum des Jahrhunderts. Der nächste ist, dass alles, was man hat, lebenslang Fibromyalgie sein muss. Wenn ich also irgendwann zum Arzt gehe und sage, dass ich massive Rückenschmerzen habe, kann das auch andere Ursachen haben. Dann wäre es schön, wenn man sich bei der Diagnostik mal etwas mehr Mühe geben würde. Das sind aber Dinge, die man sich ganz oft hart erkämpfen muss, weil automatisch alles zur Fibromyalgie gezählt wird.

Man muss sich als Patient also eigentlich immer erst selbst schlau machen und dann den Arzt gezielt damit konfrontieren, was man weiß? Das erfordert ja eine unfassbare Eigenleistung, die einen als Betroffener doch wahrscheinlich nur noch mehr belastet.

Seinen Körper besser kennenzulernen ist aber auch etwas, was man in der Selbsthilfegruppe lernt. Durch Entspannung und das in sich hinein Hören fühlt man ja oft, ob die Beschwerden noch "normal" sind. Dann kann man ja auch mit anderen Gruppenmitgliedern sprechen und fragen, ob die das auch schon mal so erlebt haben. So kann man auch mit größerem Selbstbewusstsein zum Arzt gehen und sagen, dass der Schmerz anders ist als sonst. Aber auch, was eventuelle Therapiemöglichkeiten der Fibromyalgie angeht, müssen Betroffene vieles selbst einfordern und oft auch bezahlen. So haben Erkrankte zum Beispiel nachweislich immer einen Vitamin-D-Mangel und es kann bei manchen zumindest die Schmerzspitzen lindern, wenn dieser Mangel ausgeglichen wird. Vitamin D wirkt auf die Nerven und Muskeln und ist für uns ganz wichtig. Ein Bluttest, der Aufschluss über den Vitamin-D-Spiegel gibt, wird aber trotz gestellter Fibromyalgie-Diagnose meist nicht von der Kasse bezahlt. Das ist für mich einfach unverständlich - und wer nur eine Erwerbsminderungsrente erhält, kann sich das auch nicht einfach so leisten.

Fühlen Sie sich von den Krankenkassen und dem Gesundheitssystem insgesamt im Stich gelassen?

Natürlich. Sie müssen sich jede Reha erkämpfen, jede Funktionssportverordnung wird diskutiert - obwohl in der offiziellen Leitlinie der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung, der Deutschen Rheuma-Liga und der Deutschen Schmerzgesellschaft steht, dass bei Fibromyalgie zum Beispiel Wassergymnastik sehr empfehlenswert ist. Das ist sehr nervig. Ebenso ist es mit der Physiotherapie und Krankengymnastik, mal ganz abgesehen von den Kosten, die wiederum die Familienkasse belasten.

DFV arbeitet daran, "Dinge ins Rollen zu bringen"

Haben Sie schon mal die Erfahrung gemacht, dass Scharlatane mit obskuren Heilmethoden an der Fibromyalgie verdienen wollen? Vielleicht gerade weil sie merken, dass Betroffene sich oft hilflos fühlen?

Das gibt es immer wieder und man findet als Anbieter auch ganz schnell ein offenes Ohr. Die Erkrankten greifen natürlich nach jedem Strohhalm: ob das eine Matratze für 4.000 Euro ist oder Magnetschmuck oder irgendwelche Medikamente und Mineralstoffe. Im Regelfall helfen all diese Mittel aber gar nicht oder nur kurz - und das auch nur, weil man sich im ersten Moment so über den vermeintlichen Heilsbringer freut.

Wie genau versuchen Sie mithilfe der DFV die Situation der Betroffenen zu verbessern?

Unsere Vorsitzende ist in einer Tour unterwegs, um Dinge ins Rollen zu bringen und wir arbeiten an den Leitlinien mit. Aktuell entwickeln wir eine Kooperation mit der Deutschen Schmerzgesellschaft und ich glaube, das Gesundheitsministerium kann unsere Briefe wahrscheinlich langsam nicht mehr sehen (lacht). In erster Linie sind wir natürlich darum bemüht, die Öffentlichkeit aufzurütteln und darüber aufzuklären, dass es ganz viele von uns gibt und es sich nicht um eine psychosomatische Erkrankung handelt. Wir sind keine Hypochonder und wir sind auch nicht bekloppt. Was ich mir davon abgesehen wünschen würde, ist, dass noch viel mehr Selbsthilfegruppen entstehen. Nur in diesem Zusammenschluss von Menschen kann es einem besser gehen, keiner muss sich erklären oder rechtfertigen und eine Selbsthilfegruppe nimmt die Probleme jedes einzelnen ernst, arbeitet aber in erster Linie daran, die Lebensqualität zu verbessern und es gibt nichts schöneres, als den Betroffenen wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

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