Droht die dritte Welle? Die düstere Corona-Prognose für Deutschland

23.02.2021 09:10

Wann ist die Pandemie endlich vorbei? Die Menschen wünschen sich Normalität, auch die Wirtschaft will Geschäfte, Lokale und Hotels öffnen. Hier liest du, wie es in den kommenden Monaten weitergeht. Außerdem, was jetzt passieren muss, damit das Jahr 2021 gut werden kann.

Corona vermiest uns das Leben. Und die alles beherrschende Frage lautet: Wie lange noch? Der Lockdown, der seit Anfang November herrscht, wird ständig verlängert, jetzt bis 7. März – und kaum jemand erwartet mehr, dass dann wirklich mehr geöffnet wird als Kitas, Schulen (für die Kinder bis 12 und Abschlussklassen). Politiker und Talkshow-Virologen warnen Mitte Februar schon, dass wir auf keinen Fall mit irgendeiner Art Osterurlaub rechnen sollten. Hotels, Restaurants, Cafés werden wohl an Ostern zu bleiben. Dann hätte sich der Lockdown schon ins zweite Quartal des Jahres 2021 erstreckt.

Und dann?

Prognosen für den weiteren Jahresverlauf sind gerade schwierig. Die Angst vor den Mutationen des ursprünglichen Coronavirus geht um: Möglicherweise sind sie nicht nur ansteckender, sondern auch gefährlicher. Eventuell wirken die Impfstoffe nicht gegen sie. Vermutlich werden sie bald die dominierende Variante sein.

Wird der Knoten platzen?

Wird sich Deutschland also weiterhin von Lockdown zu Lockdown hangeln? Wird die „No-Covid“-Fraktion noch schärfere Einschränkungen erzwingen? Oder werden Sonne, Schnelltests und Impfungen den Knoten platzen lassen und wenigstens Verhältnisse wie im Sommer 2020 schaffen?

Auf der Positiv-Liste könnte stehen:

  • Wir bekommen mehr Impfstoff und eine bessere Impfplanung. Damit erreichen wir eine Herdenimmunität vor dem nächsten Winter.
  • Der lange Winter-Lockdown zahlt sich aus. Die Infektionszahlen sinken und die Intensivstationen mit Corona-Patienten leeren sich wieder.
  • Wärme und Sonne, die natürlichen Feinde aller Coronaviren, setzen auch Sars-CoV-2 und seinen Mutanten zu.
  • Ein Stufenplan für Lockerungen mit verbindlichen Richtwerten für ganz Deutschland wird umgesetzt. Bei stabil niedrigen Zahlen normalisiert sich das Leben, in Risikogebieten bleiben Beschränkungen, oder treten wieder in Kraft.
  • Lockerungen nehmen Fahrt auf und die gesellschaftliche Stimmung hellt sich auf.

Die Experten mit dem optimistischen Blick in die Zukunft gehen davon aus, dass die Pandemie bis zum Jahresende gebrochen ist.

Macht die Bevölkerung weiter mit?

Hendrik Streeck, Leiter der Virologie an der Universität Bonn und prominentester Vertreter einer Lockerungsstrategie bei hohem Schutz vulnerabler Gruppen, sagt: „Es könnte eine deutliche Entspannung bei den Neuinfektionen geben, wenn es wärmer wird. Sars-CoV-2 gehört zur Familie der Coronaviren. Verhält es sich wie die anderen heimischen Coronaviren, und davon gehe ich aus, werden die Zahlen spätestens nächsten Herbst wieder ansteigen. Im Mai und über den Sommer hinweg werden sie auf einem niedrigen Niveau bleiben.“

Friedemann Weber, Virologie-Chef der Universität Gießen, gibt auf Nachfrage zuletzt eine positive Prognose ab: „Wenn die Lockdown-Maßnahmen und die Impfstoffe die Pandemie bald unter Kontrolle bringen, dann sollte das Frühjahr spürbar unbeschwerter sein, der Sommer schon fast wieder normal, und der Herbst so gut wie normal.“

Und sogar der allgemein eher warnende und mahnende RKI-Chef Lothar Wieler meint: „Am Ende dieses Jahres werden wir diese Pandemie kontrolliert haben.“ Bis dahin würden ausreichend viele Impfdosen zur Verfügung stehen, „um die gesamte Bundesbevölkerung zu impfen“. Die entscheidende Voraussetzung sei freilich, dass sich genügend Menschen impfen ließen. 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung müssten es sein, damit Herdenimmunität eintritt.

Auf der Negativ-Liste könnte stehen:

  • Es wird noch mehr gravierende Mutationen geben und eine geringe Wirkung der Impfstoffe gegen sie. Dann sind zeitraubende Anpassungen nötig.
  • Es kommt zu hohen Inzidenzen durch neue gefährlichere Varianten, mehr Patienten denn je müssen auf Intensivstationen behandelt werden.
  • Den Mutanten kann die Sommerwärme nichts mehr anhaben.
  • Die Lockdown-Einschränkungen bleiben bestehen – die Bevölkerung macht nicht mehr mit.

Experten erwarten weitere Infektionswelle

Die pessimistischeren Stimmen rechnen spätestens zum Herbst 2021 mit einer heftigen weiteren Infektionswelle, weil bis dahin nur ein kleiner Teil der Bevölkerung immunisiert ist. Echte Entspannung ist demnach erst 2022 zu erwarten. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach etwa ist sich sicher: „Ende 2021 ist die Pandemie keinesfalls vorbei.“

Auch Charité-Virologe Christian Drosten, der sich im November noch zuversichtlich gab, weil die neuen Impfstoffe die Corona-Lage 2021 entspannen würden und sich die Menschen dann „weitgehend normal“ bewegen und verhalten könnten, malt jetzt ein düsteres Bild.

In einem Interview mit dem „Spiegel“ zeigte er sich wegen der Infektionszahlen, der Mutationen und der Impfung eher besorgt. Sobald ein großer Teil der Alten sowie der Risikogruppen durchgeimpft ist, „wird ein riesiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und vielleicht auch rechtlicher Druck entstehen, die Corona-Maßnahmen zu beenden“. Dann würden sich innerhalb kürzester Zeit wieder deutlich mehr Personen mit dem Virus infizieren, als man sich das aktuell vorstellen könne.

Die Virologin Melanie Brinkmann, die zur „No-Covid“-Gruppe gehört und die Inzidenzen Richtung Null bringen möchte, bevor gelockert werden kann, stellte im „Spiegel“ fest: „Wir kriegen niemals genügend Menschen geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen.“ Verstärkt zu lockern hieße: eine massive Infektionswelle nach Ostern anschieben.

Impfen muss schneller werden, um Herdenimmunität zu schaffen

Dass das Impfen in Deutschland Fahrt aufnehmen muss, sagen vom Gesundheitsminister bis zum letzten Impfwilligen alle. Seit Impfbeginn am 27. Dezember haben bis einschließlich 21. Februar 3,3 Millionen Menschen in Deutschland eine erste Impfdosis erhalten, das sind vier Prozent der Bevölkerung – zu wenig für eine baldige Herdenimmunität.

Infektiologe Clemens Wendtner hat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor Kurzem vorgerechnet: „Selbst wenn jeden Tag in der Woche, montags bis sonntags, 100.000 Personen eine Impfung erhalten, wären Ende 2021 nur rund 35 Millionen von 83 Millionen Menschen geschützt. Das ist weniger als die Hälfte der Einwohner Deutschlands.“

Schneller impfen als sich das Virus verbreitet – das sind angesichts der ansteckenderen Mutanten auch die Wünsche und Forderungen führender Virologen.

Wie schnell sich die Impfsituation verbessert, hängt in erster Linie vom Impfstoffkontingent ab, die Deutschland aus der EU-Bestellung zusteht. Bis Ende März sollen 10,3 Millionen Dosen von Biontech, 1,8 Millionen von Moderna und 5,6 Millionen von Astrazeneca kommen. Da für jeden geimpften zwei Spritzen nötig sind, reicht das für knapp neun Millionen Menschen.

Im zweiten Quartal entspannt sich die Lage, weil die bereits bestellten Vakzine vom US-Hersteller Johnson & Johnson sowie von Curevac aus Heidelberg von der Europäischen Medizinagentur EMA aller Wahrscheinlichkeit nach eine Zulassung bekommen und dann sofort millionenfach ausgeliefert werden können.

Stufenpläne aus dem Lockdown

Mit Lockerungen des Lockdowns kann und will niemand warten, bis der letzte Impfwillige seine Spritze hat. Damit es damit möglichst schnell geht, soll ein bundesweit geltender Stufenplan das Öffnungs-Szenario vorgeben. Beim Ministerpräsidenten-Treffen am 3. März soll ein solcher Plan beschlossen werden. Er soll nicht nur Perspektiven für die Wirtschaft eröffnen, sondern auch die Kontakt- und Bewegungsfreiheit der Bürger schrittweise vergrößern. Kanzlerin Angela Merkel schlägt dafür Berichten nach einen Öffnungsplan in drei Bereichen vor.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hatte einen vierstufigen Ausstiegsplan bereits beim Treffen am 10. Februar im Kanzleramt dabei. Der Stufenplan orientiert sich an der Sieben-Tages-Inzidenz, also wie viele Neuinfektionen es in einer Woche in einem Landkreis auf 100.000 Einwohner gab.

Ähnliche schrittweise Öffnungen sieht Niedersachsens „Stufenplan 2.0“ mit seiner sechsfachen Ampel dar. Dieser Plan betont neben den Lockerungen strenge Restriktionen, wenn die Infektionslage schlechter wird.

Noch wissen alle Verantwortlichen zu wenig über die Verbreitung und die Dynamik der Sars-CoV-2-Mutanten. Doch sie könnten darüber entscheiden, ob sich 2021 zu einem schrecklichen Pandemiejahr entwickelt oder der Beginn einer coronafreien Zukunft wird. Ein schnelles Ende der Pandemie ist nach dem Aufkommen der Virusvarianten aber fraglich.

Mehr zum Thema:

  • Trotz des landesweiten Lockdowns steigen in manchen Regionen die Infektionszahlen wieder an. Das liegt an den Corona-Mutationen. Hier erklärt Virologe Martin Stürmer, wie wir verhindern, dass im ganzen Land die Zahlen wieder steigen: „Wenn die Maßnahmen funktionieren würden, dann müssten wir eigentlich einen konsequenten, relativ steilen Abfall der Infektionskurve sehen. Dass die Zahlen nun auf ein Plateau zusteuern bedeutet: Sie reichen nicht aus – zumindest nicht gegen die Mutationen“

 

Quelle