Diese Protestwelle lässt aufatmen, vertreibt ein Stück weit die bleierne Stimmung im Land

22.01.2024 10:38

Wieder haben Hunderttausende Menschen deutschlandweit gegen rechts demonstriert. Die Medien kommentieren die große Beteiligung als Hoffnungsschimmer, mahnen aber: Die Politik muss ihren Beitrag leisten, dass die AfD nicht noch stärker wird.

Die Medien des Landes kommentieren die deutschlandweiten Demos gegen den Rechtsextremismus weitgehend positiv und betrachten sie als ermutigendes Signal im Kampf gegen demokratiefeindliche Umtriebe. Dennoch fordern sie gleichzeitig mehr Engagement von der Politik, die ihren Beitrag leisten müsse. Die Pressestimmen:

"Mitteldeutsche Zeitung": "Mit einem Wochenende voller Demonstrationen quer durch die Republik allein ist die Gefahr des Rechtsextremismus natürlich längst noch nicht gebannt. Aber es sollte alle ermutigen, die für Freiheit und Demokratie sind: Ihr seid nicht allein. Dieses Wochenende hat die rechte Erzählung von einer ermatteten, von 'Altparteien' abgewirtschafteten Republik kraftvoll Lügen gestraft. Die Demokratie in Deutschland ist lebendig – und es gibt hier jede Menge Menschen, die für sie einstehen."

"Leipziger Volkszeitung: "Die Proteste in Leipzig, Dresden, Görlitz, München, Hamburg oder Köln dürfen nicht bloße Bilder bleiben: Es gilt, die Werte des Grundgesetzes auch am Tag nach der Großdemo zu leben und dahinter zu stehen, auch wenn es kompliziert wird. In Diskussionen im Kleinen den Mut zu haben, sich entgegenzustellen. Und für Miteinander, Gemeinwohl und Menschlichkeit einzutreten in den kleinen Entscheidungen des Alltags. Spätestens bei den Wahlen.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "In Zeiten, in denen der freiheitliche Staat unter Druck steht und manche zweifeln, wer alles noch hinter den demokratischen Institutionen steht, die sich heftiger Kritik erwehren müssen und nicht wenigen als schwerfällig und überholt gelten, in diesen Zeiten ist es wichtig, an deren Stärke zu erinnern. Mit Wort und Tat. Der demokratische Rechtsstaat ist ja nun gerade kein Projekt einiger weniger – jedenfalls kann er als Minderheitenprojekt nicht überleben. Deshalb fordert der Bundespräsident jetzt ein "Bündnis aller Demokratinnen und Demokraten". Für aktiven Einsatz für das Gemeinwesen ist es nie zu früh. Anordnen kann man eine solche Demokratenfront aber nicht. Das kann auch kein Ersatz für Politik sein."

"Der Umgang mit der AfD sollte sich ändern"

"Münchner Merkur": "Die Großdemos von Hunderttausenden gegen Rechtsradikale stehen Deutschland sehr gut zu Gesicht. So stark, so mächtig diese Demonstrationen waren – sie sind kein Signal zum Weiter-so. Der Umgang mit der AfD sollte sich ändern. Zu hektisch, zu schnappatmig reagieren die Parteien auf jedes Zucken von ganz rechts. Und vergessen über diesen Reflexen die riesige eigene Verantwortung: die eigene Politik auf zwei, drei Feldern so zu ändern, dass es weniger Anlass für Zorn und Protest gibt. Keine noch so große Demo ist ein Ersatz für diese Politikwende."

"Nürnberger Zeitung": "Was folgt nun nach den demokratiebeschwörenden Massendemonstrationen? Werden sie sich in sinkenden Umfragewerten für die AfD niederschlagen? Die regierenden Parteien in Berlin sollten die Demonstrationen jedenfalls als Motivation dafür nutzen, eine Politik zu machen, die nicht an den Sorgen und Bedürfnissen einer Mehrheit der Menschen im Lande vorbeigeht. Wer immerzu behauptet, die Mitte der Gesellschaft zu verkörpern, hat versagt, wenn die politischen Ränder immer stärker werden."

"Nürnberger Nachrichten": "Auf sie, die Mitte der Gesellschaft, kommt es jetzt an: Denn natürlich ist mit einer Demonstration noch nichts gewonnen. Der Kampf gegen den Faschismus wird nur erfolgreich sein, wenn er täglich geführt wird: Heute im Büro, morgen beim Stammtisch – und am kommenden Samstag bei der nächsten Demonstration auf dem Nürnberger Kornmarkt."

"Dem starken Zeichen auf der Straße müssen Taten im Alltag folgen"

"Rhein-Zeitung": "Diese Protestwelle zeigt, dass die Mehrheit der Gesellschaft nicht mit den Vertreibungsfantasien von Rechtsradikalen einverstanden ist. Sie lässt aufatmen, vertreibt ein Stück weit die bleierne Stimmung im Land. Sie zeigt, dass nichts verloren ist. Trotz der Protestwelle, und das gehört zur Wahrheit dazu, bleiben in Umfragen die Zustimmungswerte für die AfD hoch. Und die Zersplitterung der Parteienlandschaft nimmt zu: Mit der Werteunion wird sich eine neue Partei gründen, deren Vorsitzender Hans-Georg Maaßen mit Genuss am rechten Rand zündelt und Brandmauern nach ganz rechts oder ganz links ablehnt. Daraus abzuleiten, dass die Parteien der Ränder sich gegenseitig kannibalisieren und auch der AfD das Wasser abgraben werden, wäre allerdings völlig falsch. Die Parteien der demokratischen Mitte – und die Hunderttausenden Demonstranten für die Demokratie – dürfen sich auf dieser Theorie jedenfalls nicht ausruhen."

"Rheinpfalz": "Und ja, dass Hunderttausende gegen rechts marschieren ist vor allem ein Signal. Ein Signal dafür, dass viele Deutsche – über Parteigrenzen und Weltanschauungen hinweg – fürs Verteidigen der Demokratie zusammenstehen. Das ist ungemein wichtig. Doch Signale und Symbole laufen Gefahr, sich im Lauf der Zeit abzunutzen. Auch bleibt zu hoffen, dass die Demonstrationen nicht 'gekapert werden – von Gruppen, die ihre eigene Agenda verfolgen. Ganz nüchtern muss man festhalten: Demonstrationen alleine werden die Rechten nicht aufhalten. Entschieden wird deren Aufstieg oder Fall vor allem an der Wahlurne. Auch liegt es an jedem Einzelnen, dass er – vielleicht beim Gespräch in der kleinen Gruppe, vielleicht unter vier Augen – rechtem Gedankengut etwas entgegensetzt. Demonstrieren, wählen gehen, reden – das ist ein guter Dreiklang."

"Nordwest-Zeitung": "Dem starken Zeichen auf der Straße müssen nun Taten im Alltag folgen: Einschreiten, wo sich Hass und Hetze Bahn brechen. Aufpassen, wenn sich rassistisches Gedankengut breit macht. Und den Dialog mit jenen suchen, die meinen, ihre Haltung sei nur 'Protest' gegen 'die da oben'. Nein: Wer AfD wählt, soll ruhig merken, dass seine Entscheidung bei seinen Mitbürgern auf Widerspruch stößt. Denn die AfD, die sich einen völkischen Nationalstaat erträumt und Deportationsfantasien hegt, ist keine 'normale Partei'. Zum Unterhaken für die Demokratie gehört auch: Wählen gehen! Am besten schon bei der Europawahl im Juni. Eine hohe Wahlbeteiligung und das Kreuzchen für eine demokratische Partei würde – rein rechnerisch – den Anteil der AfD schmelzen lassen. Die Demonstrationen des Wochenendes sollten keine einmalige Angelegenheit bleiben. Wenn die Mitte der Gesellschaft nicht mehr schweigen will, darf sie den öffentlichen Raum nicht den Extremisten überlassen."

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