Deutschland, die Toten von Hanau sind Deine Toten!

20.02.2024 09:44

Die Autorin und Journalistin Hatice Akyün mahnt im Gastbeitrag für den stern: Hanau ist keine interne Angelegenheit unter Migranten. Die Toten in Hanau sind Deutschlands Tote. 

Die stern-Anfrage, etwas zum vierten Jahrestag der Morde in Hanau zu schreiben, traf mich unerwartet. Vier Jahre ist es schon her? Ich schäme mich, dass ich es offenbar verdrängt habe, während nur wenige Hundert Kilometer entfernt von mir Familien trauern, die ihre Angehörigen verloren haben. 

Meine Erinnerung an den 19. Februar 2020 kam Stück für Stück zurück. An das Gefühl von Schock, Fassungslosigkeit, Tränen und Ohnmacht. Ich frage mich, ob es ein Abstumpfen ist, dass wir immer schneller zur Normalität übergehen. 

Es war ja nicht das erste Mal, dass Bürgerinnen und Bürger dieses Landes aufgrund ihrer Herkunft sterben mussten. Was ist eigentlich aus dem "Nie Wieder" und den vielen Versprechen der Politik geworden, dass sich diesmal aber wirklich etwas ändern wird?

Rassistische Gewalt in Hanau: Heute wir, morgen ihr

Etwas fiel mir auf: Die Menschen, die am vergangenen Samstag in Hanau auf die Straße gingen, um an die Toten zu erinnern, sahen aus wie ich. Es waren Menschen mit Migrationshintergrund. Wo waren meine deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne Migrationshintergrund? 

Wir finden die Morde alle unfassbar schrecklich, dennoch wird suggeriert, sie wären eine interne Angelegenheit unter Migranten, so wie auch bei den NSU-Morden, bei denen zehn Jahre lang eine Blutspur durch Deutschland gezogen wurde, bevor sie als rassistische Morde enttarnt wurden. Sie als Döner-Morde zu bezeichnen, war nicht zufällig. Es war die Linie zwischen denen und uns, um uns auf Abstand zu halten, damit man sich nicht zu sehr einlassen muss. Aber die Toten des NSU sind genau wie die Toten in Hanau Deutschlands Tote.

Uns allen mit oder ohne Migrationshintergrund sollte klar sein, dass Angriffe auf Minderheiten, Angriffe auf unsere ganze Gesellschaft sind. Heute wir, morgen ihr. 

Noch sind es Opfer von Rassismus und Antisemitismus. Dann aber kommen schon Homosexuelle, Obdachlose, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und politische Gegner. Es reicht ein Blick in die Geschichtsbücher. Es liegt an uns, nicht zur Tagesordnung überzugehen. Nicht zu vergessen und nicht zu verdrängen ist das Mindeste, was wir tun können. Das gilt auch für mich.

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