Der Lokführer-Streik eskaliert: Wer könnte Weselsky jetzt noch stoppen?

23.01.2024 10:11

Sechs Tage will die GDL den deutschen Bahnverkehr lahmlegen – neuer Rekord. Sogar unbefristete Bahnstreiks scheinen mittlerweile möglich. Könnten Richter oder Schlichter die Lokführer um Claus Weselsky noch einhegen?

GDL-Chef Claus Weselsky hatte es Anfang Dezember angedroht: Ab Januar könnten die Bahnstreiks "länger und intensiver" werden. Nun macht die Lokführer-Gewerkschaft ernst. Von Mittwoch bis zum darauffolgenden Montag werde man für sechs Tage den Bahnverkehr lahmlegen, so die Ankündigung. Der Güterverkehr soll sogar schon ab Dienstagabend ruhen.

Das am Freitag von der Deutschen Bahn vorgelegte neue Tarifangebot hat die GDL mit deutlichen Worten abgelehnt – sie spricht von einem "Verweigerungs- und Konfrontationskurs" des Arbeitgebers, von Einigungswillen sei "keine Spur". Die Bahn kritisiert hingegen die Absage der GDL und den erneuten Streik als "unverantwortlich". Auch Verkehrsminister Volker Wissing äußerte "null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung".

Der angekündigte sechstägige Streik wäre der längste in der Geschichte der Deutschen Bahn und wird laut Ökonomen Milliardenschäden verursachen. Und es könnte noch schlimmer kommen: Vor Weihnachten hat sich GDL-Chef Weselsky von den Mitgliedern in einer Urabstimmung die Zustimmung zu unbefristeten Streiks geholt. Die Lokführer könnten demnach theoretisch über Wochen in den Ausstand treten.

Wie lässt sich dieses Chaos-Szenario abwenden? Und hätte überhaupt jemand die Macht, Weselsky und seine streikenden Lokführer zu stoppen?

1. Die Deutsche Bahn

Die Bahn hätte es in der Hand, alle Streiks sofort zu beenden, indem sie die Forderungen der GDL erfüllt. Zuletzt bot der Konzern 4,8 Prozent mehr Geld ab August und nochmal 5 Prozent mehr ab April 2025. Dazu bietet die Bahn eine Inflationsausgleichsprämie und für Lokführer und Zugbegleiter die Option, ab 1. Januar 2026 entweder die Wochenarbeitszeit von 38 auf 37 Stunden zu verringern (bei gleichem Gehalt) oder nochmal 2,7 Prozent mehr Geld zu bekommen. Klingt ordentlich, der Knackpunkt sind aber nicht allein Gehaltszahlen. 

Die zentrale Forderung der GDL, die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich von 38 auf 35 Wochenstunden zu reduzieren, hält die Bahn für nicht realisierbar. Ein grundsätzlicher Streitpunkt ist zudem, für welche Berufsgruppen neben den Lokführern die GDL überhaupt einen Tarif abschließen darf, da die meisten Bahnbeschäftigten von der konkurrierenden EVG vertreten werden. GDL-Chef Weselsky besteht darauf, auch für Beschäftigte in der Infrastruktur einen GDL-Tarifvertrag zu verhandeln.

2. Die GDL-Mitglieder

GDL-Chef Weselsky kann nur so lange resolut bleiben, wie ihm seine Mitglieder in den Arbeitskampf folgen. Je näher das Angebot der Bahn den Forderungen kommt, desto stärker könnte die Streikbereitschaft nachlassen. Klar ist, dass der Arbeitskampf nicht nur für die Bahn, sondern auch für die GDL und ihre Mitglieder eine finanzielle Belastung bedeutet. Wer streikt, wird vom Arbeitgeber nicht bezahlt, weshalb die Gewerkschaft tageweise Streikgeld auszahlt. Das ersetzt den fehlenden Lohn in der Regel aber nicht komplett. Die Streikkasse der GDL speist sich vor allem aus Beiträgen ihrer Mitglieder und galt in der Vergangenheit als gut gefüllt. Wie lange die finanziellen Reserven reichen würden, verrät die GDL nicht.

3. Die Gerichte

Die Deutsche Bahn hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, GDL-Streiks mit juristischen Mitteln zu verhindern. Meistens ist sie aber vor den Gerichten gescheitert. Zuletzt wies das Hessische Landesarbeitsgericht am 9. Januar einen Eil-Antrag der Bahn gegen den Streik vom 10. bis zum 12. Januar zurück. Ob der Konzern es auf dem Rechtsweg erneut probiert, ist noch offen. Ohne Grenzen ist das Streikrecht in Deutschland nicht. Wenn Forderungen unrechtmäßig sind oder die durch den Arbeitskampf entstehenden Schäden unverhältnismäßig groß, kann ein Streik als illegal eingestuft werden. 

Auf Ersteres zielt eine Klage der Bahn, die argumentiert, dass die GDL gar keine Tarifverträge mehr erstreiten darf, weil sie durch Gründung der eigenen Leiharbeitsgenossenschaft Fair Train selbst zur Arbeitgeberin geworden ist. Dass diese grundsätzliche Frage zeitnah geklärt wird, erscheint unwahrscheinlich.  

Bleibt noch die Frage der Verhältnismäßigkeit, über die allerdings weder der Volkszorn noch die Politik entscheiden. Es käme auf eine richterliche Entscheidung an, wobei das Streikrecht schwer zu kippen ist. Das Bundesarbeitsgericht habe mit zwei Entscheidungen 2007 und 2009 dafür gesorgt, dass Gewerkschaften überwiegend selbst über die Verhältnismäßigkeit entscheiden dürfen, schreibt der Münchener Arbeitsrechtsprofessor Richard Giesen in einem Gastbeitrag für die FAZ. "Bis heute ist keine Gerichtsentscheidung bekannt, in der der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verletzt angesehen wurde." Ab welchem Punkt ein Bahnstreik diese Schwelle überschreiten würde, ist offen. Grundsätzlich sind auch unbefristete Streiks in Deutschland erlaubt.

4. Ein Schlichterspruch

Wenn sich zwei Tarifparteien partout nicht einigen können, kann ein Schlichtungsverfahren die verfahrene Situation auflösen. Auf diese Weise wurden bereits in der Vergangenheit harte Konflikte zwischen Bahn und GDL beigelegt. 2015 sorgte eine Schlichtung mit dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als GDL-Vertreter und dem früheren Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck, auf Bahn-Seite für ein Ende des Tarifkonflikts. 2021 vermittelten Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Kollege aus Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU), erfolgreich einen neuen Tarifvertrag.

Eine Schlichtung kann allerdings auch scheitern. Und: Sie muss von beiden Seiten gewollt sein. GDL-Chef Claus Weselsky hat sich in den letzten Tagen ablehnend gegenüber einem neuerlichen Schlichtungsverfahren geäußert, will auf jeden Fall auch einen Tarifvertrag für die Fahrdienstleiter erzwingen. Die Frage, ob er einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter bekomme, gebe er nicht in Schlichterhand, sagte Weselsky.

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