Charité-Forscher schlägt Alarm: Schulbeginn vor 10 Uhr macht Jugendliche krank

13.01.2020 14:16

Um acht Uhr klingelt die Glocke zur ersten Schulstunde. Das ist viel zu früh für die Jugendlichen. Der Chronobiologe Achim Kramer von der Berliner Charité warnt, dass das die Heranwachsenden krank macht. Auch viele Arbeitnehmer kämpfen mit Schlafmangel. Der Forscher verrät, was Langschläfern hilft.

„Zehn Uhr wäre mein Traum für den Schulbeginn für Jugendliche“, sagt Achim Kramer. Viele Schüler dürften mit ihm träumen. Der Forscher ist Biochemiker und Leiter des Arbeitsbereichs Chronobiologie der Charité Berlin. Die Biologie der inneren Uhr beschäftigt ihn seit vielen Jahren, sodass er weiß: Für 80 bis 90 Prozent der älteren Schüler ist acht Uhr schlicht zu früh.

„Sie verlieren dadurch Schlaf“, erklärt der Chronobiologe. „Denn wir können nicht vorschlafen, also nicht einfacher früher ins Bett gehen.“ Die 14- bis 17-Jährigen brauchen zwischen acht und zehn Stunden Schlaf. Ansonsten bekommen sie Stoffwechselprobleme, können sich nicht konzentrieren und sie werden dick. Der Haken an der Sache: Ihr Schlaffenster ist meist um 22 Uhr noch nicht offen.

Forscher fordert angepasste Zeiten für Schulbeginn

Acht Uhr sei für die Grundschüler kein Problem. Aber von der siebten bis neunten Klasse sollte der Schulbeginn auf neun Uhr verschoben werden. Für die 10. bis 12. beziehungsweise 13. Klasse wäre dann zehn Uhr ideal, so Kramer.

Denn neben Vererbung und Geschlecht kennen Chronobiologen einen dritten Faktor, der bestimmt, ob Menschen Lerchen (Frühtypen) oder Eulen (Spättypen) sind: das Alter. Kinder zählen üblicherweise zu den extremem Frühtypen während Teenager als Spättypen morgens viel länger schlafen würden. Ab etwa 20 Jahren stellt sich die innere Uhr auf einen Normaltyp irgendwo dazwischen ein. Je älter Menschen werden, desto mehr werden aus Eulen wieder Lerchen. Außerdem sind Männer vom Chronotyp im Schnitt eine halbe Stunde später als Frauen.

Zu früh arbeiten macht krank

Auch für viele Erwachsene ist ein Arbeitsbeginn um acht Uhr zu früh. „Für die Mehrheit der 35- bis 65-Jährigen wäre es vermutlich ausreichend, bis halb acht Uhr zu schlafen“, erklärt Achim Kramer. Also wäre es für die meisten Arbeitnehmer gesundheitlich das Beste, um neun Uhr mit der Arbeit anzufangen – je nach Arbeitsweg. Dann kämen sie ohne Probleme auf die sieben bis acht Stunden Schlaf, die ein Mensch durchschnittlich braucht. Alles darunter ist in der Regel zu wenig, vor allem wenn Schlafstörungen hinzukommen.

Schlafmangel bringt die innere Uhr aus dem Takt und führt beispielsweise zu Stoffwechselstörungen. Daraus können Leiden wie Diabetes entstehen. Die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. So hat etwa eine Untersuchung der Universität Novosibirsk gezeigt, dass ausgeprägte Schlafprobleme (insbesondere mit Atemaussetzern) das Risiko für einen Herzinfarkt verdoppeln. Die Epidemie der Fettleibigkeit entsteht ebenfalls durch kollektiven Schlafmangel. Zudem steigt die Zahl der psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen.

Vom Langschläfer zum Frühaufsteher?

„Zu welchem Chronotyp jemand gehört, lässt sich nicht grundsätzlich ändern“, erläutert Kramer. Ein Langschläfer wird keinesfalls zum Frühaufsteher werden. Trotzdem sei es möglich, seine innere Uhr anzupassen. Genauer gesagt, die inneren Uhren, Mehrzahl. Denn in jedem Organ, in jeder Zelle unseres Körpers sitzt eine innere Uhr. Im Gehirn tickt unsere Hauptuhr, die den chronobiologischen Takt vorgibt.

Doch auch die übrigen Organe haben Einfluss – wie beispielsweise diejenigen, die für die Verdauung zuständig sind. Darum ist es ungünstig nachts aus dem Kühlschrank zu naschen. Diese nächtlichen Schlemmereien führen dazu, dass die inneren Uhren schlechter synchronisieren.

So können Sie Ihre innere Uhr anpassen

Wer in eine andere Zeitzone reist, beispielsweise in die USA, kann seine innere Uhr innerhalb von ein paar Tagen komplett umstellen. Um zu Hause die Aufwach- an die Arbeitszeit anzupassen, gilt Folgendes: Wenn man viel draußen ist, wie in einer Studie, in der die Teilnehmer eine Woche lang zelteten, lässt sich der Chronotyp um ein bis zwei Stunden umstellen.

Kramer schränkt allerdings ein: „Praktikabel in unserem Alltag ist es eher, die innere Uhr durch einen sensiblen Umgang mit Licht um eine halbe bis eine Stunde zu verschieben.“

Idealer Tagesablauf – vor allem für Spättypen, die morgens schwer fit werden:

  • Aufwachen ohne Wecker
  • Viel Morgenlicht tanken, es ist der Zeitgeber, um innere Uhr synchron zu halten: „Erleuchten Sie im Winter Ihr Badezimmer und die ganze Wohnung schön hell und frühstücken Sie im Sommer draußen“, empfiehlt Achim Kramer. Denn das Morgenlicht ist ganz wichtig, um der inneren Uhr zu signalisieren: „Jetzt ist Tag.“ Nutzen Sie die Gelegenheit, um mit dem Rad in die Arbeit zu fahren oder eine U-Bahn-Station früher auszusteigen.
  • In der Mittagspause sollten Sie ebenfalls draußen Licht tanken, um die inneren Uhren wieder zu synchronisieren.
  • Abends nicht mehr zu spät essen: Mindestens zwei bis drei Stunden vor dem Schlafen gehen, sollten Sie nichts mehr essen, rät der Chronobiologe.
  • Verwenden Sie abends lieber gedämpftes Licht wie von einer Leselampe und vermeiden Sie blaulichthaltige Bildschirme von Fernsehern, Laptops oder Smartphones. „Denn dieses Licht am Abend verzögert die innere Uhr“, erklärt Kramer. Nutzen Sie die Einstellungen der Geräte, die den Blaulichtanteil herausfiltern.

Allen, die tendenziell zu früh aufwachen, empfiehlt der Experte: Machen Sie abends helles Licht, um Ihre innere Uhr etwas zu umzustellen.

„Es wäre fatal, die Sommerzeit dauerhaft zu behalten“

Mit der   Umstellung auf die Sommerzeit am letzten März-Wochenende werden nun ohnehin alle Menschen dazu gezwungen, ihren Rhythmus zu verändern. Die Abstimmung zur Zeitumstellung sieht der Chronobiologe Achim Kramer extrem kritisch. Die Art der Fragestellung sei schon falsch gewesen. „Denn die Menschen assoziieren mit Sommerzeit den ewigen Sommer“, führt Kramer aus. „Tatsächlich wäre es fatal, die Sommerzeit dauerhaft zu behalten, denn dann ist es morgens länger dunkel.“

Alle Chronobiologen wollen daher die normale mitteleuropäische Zeit (MEZ). „Mit der mitteleuropäischen Zeit in Deutschland nutzen wir den Effekt des morgendlichen Lichts optimal“, erläutert Achim Kramer. „Insgesamt erhöht sich die Schlafdauer und macht uns alle gesünder.“ Denn es gibt dann weniger Stoffwechselprobleme wie Diabetes, weniger psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen und geringeres Adipositas-Risiko.

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