Bund-Länder-Treffen mit der Kanzlerin: Worauf es vor der 4. Welle ankommt

30.07.2021 09:20

Die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer beraten am 10. August zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie. Regeln zu Quarantäne und Tests, Einschränkungen für Ungeimpfte oder etwa neue Richtwerte neben der 7-Tage-Inzidenz stehen auf der Tagesordnung. Schon jetzt steht fest: Es wird Streit geben.

Bund und Länder wollen sich wieder gemeinsam über das Vorgehen bei der Corona-Pandemie beraten. Für den 10. August sei eine Videokonferenz angesetzt worden, erklärte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

„Der Korridor, um der gegenwärtigen Entwicklung noch wirksam entgegen zu wirken, wird enger“, erklärte Müller und bezog sich damit auf die wieder steigenden Corona-Infektionszahlen. Deshalb müsse nun zügig gehandelt werden.

Söder will Schüler verstärkt impfen lassen

Bereits für diesen Dienstag war eine Schaltkonferenz der Unions-geführten Länder einberufen worden, in der es ebenfalls um die künftige Strategie in der Corona-Pandemie gehen sollte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte vor Beginn des Gesprächs, der entscheidende Ansatz sei seiner Meinung nach, dass Geimpfte mehr Möglichkeiten und Freiheiten wiedererlangen. Er forderte zugleich eine „klare Linie“ der Regierungschefs für das weitere Vorgehen.

Es dürfe in der Pandemiebekämpfung kein Zögern geben, um nicht, „in die Bundestagswahl zu stolpern“, sagte Söder. Söder sprach sich dafür aus, geimpften Menschen ihre Freiheitsrechte zurückzugeben, Ungeimpften dagegen nicht ohne weiteres. Es gehe nicht um die Benachteiligung Ungeimpfter oder um einen Impfdruck durch die Hintertür. Jedoch sei das Vorenthalten von Grundrechten für Geimpfte nicht zu rechtfertigen.

Laut Söder soll das Impfen für Minderjährige deutlich vorangebracht werden. Ziel müsse es sein, bei den Schülerinnen und Schülern im neuen Schuljahr die Quarantänezeiten so weit wie möglich zu reduzieren, sagte Söder. In Großbritannien, wo die Infektionszahlen deutlich in die Höhe gegangen sind, befänden sich derzeit 20 Prozent der Schüler in Quarantäne.

Alte Inzidenz-Werte sollen nach Söder für Schüler weitergelten

Das Robert Koch-Institut erarbeite gerade eine neue Berechnungsweise als Messlatte für die Schwere der Pandemie. Sie solle Impffortschritt und Sieben-Tage-Inzidenz unter einen Hut bringen.

Die Grenze von 50 bei der Sieben-Tage-Inzidenz müsse wohl nach oben angepasst werden, mit Ausnahme der Schulen. „Ist das alte 50 noch das neue 50? In der Schule ja, weil da gibt es noch zu wenig Impfung“, sagte Söder.

Wenn es in der Vergangenheit um Lockdown oder Lockerungen ging, war vor allem die „50er-Inzidenz“ Richtschnur für die MPK gewesen. Also die Anzahl der Corona-Infektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen. Da mittlerweile die Risikogruppe der Über-60-Jährigen mit über 85 Prozent zumindest einmal geimpft ist, infizieren sich überwiegend jüngere Menschen, die einen leichteren Krankheitsverlauf haben.

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 10. August wird es vor allem um folgende Themen gehen:

  • Neue Richtwerte: Die bisherigen Inzidenz-Werte sind angesichts des Impffortschritts nicht mehr aussagekräftig. Zudem muss geklärt werden, welche Einschränkungen ab einer gewissen Inzidenz für Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, gelten sollen.
  • Neuer Schub für die Impfkampagne: Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung sinkt. Bund und Länder müssen neue Anreize fürs Impfen schaffen.
  • Freiheiten und Einschränkungen: Während Geimpfte und Genesene Schritt für Schritt mehr Freiheiten bekommen, ist unklar, wie mit Impfverweigerern umzugehen ist. Eine allgemeine oder nur für manche Berufsgruppen geltende Impfpflicht scheint nicht umsetzbar. Kostenlose Schnelltests für Impfmuffel sind jedoch wahrscheinlich.
  • Offene Schulen: Da Bildung Ländersache ist, werden die Länder hier auch wieder eigene Wege beim Thema Schulöffnung und Impfung von Schülern gehen. Hier sind die Bundesländer strategisch nicht über den Dreiklang Testen-Masken-Lüften hinausgekommen.
  • Reiserückkehrer: Wer nicht geimpft oder nicht genesen ist, muss in Quarantäne, wenn er aus einem Risikogebiet wieder in Deutschland einreist. Problematisch sind bei diesem Thema etwa ungeimpfte Kinder von geimpften Eltern oder die Kontrolle durch die überlastete Bundespolizei an den Grenzen.
  • Quarantäne für Kontaktpersonen 1. Grades: Ungelöst bleibt auch die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter, die nach dem Abzug der Bundeswehr und der freiwilligen Helfer wieder mit Bergen von Meldezetteln und Daten konfrontiert sind.

Bedenken beim Thema Einschränkungen für Ungeimpfte haben vor allem als SPD, Grüne und FDP. Die Union hingegen nicht: Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte bereits eine Reihe möglicher Beschränkungen für Nicht-Geimpfte vorgeschlagen wie etwa ein Verbot von Restaurant-, Kino- und Stadionbesuchen. Die im Grundgesetz verankerte Vertragsfreiheit erlaubt beispielsweise der Gastronomie bereits jetzt, nur Geimpfte zu bewirten. Auch ein Ende der kostenlosen Schnelltests ist im Gespräch.

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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte etwa im Interview mit RTL/ntv klar: „Das ist keine Diskriminierung der Nicht-Geimpften.“ Er achte es, wenn jemand sich aus persönlichen Gründen gegen eine Impfung entscheide. „Aber die nicht geimpfte Person muss auch einsehen, dass wir die Gesamtgesellschaft schützen müssen und deshalb nur die Geimpften zu größeren Gemeinschaftsveranstaltungen zulassen können.“

Auch CSU-Chef Söder preschte bereits mit konkreten Vorschlägen vor: „Klar muss sein: Wer ein Impfangebot hatte und dies bewusst ausschlägt, kann auf Dauer nicht mehr kostenlos getestet werden“, so Söder zur „Augsburger Allgemeinen“. Außerdem bräuchte man „dringend eine verbindliche Formel aus Inzidenzwert, Impfquote und belegten Krankenhausbetten, um zu wissen, ab wann Maßnahmen ergriffen werden müssen – und welche Rechte sich für Geimpfte daraus ergeben“.

Interessant ist, dass ausgerechnet CDU-Chef Armin Laschet – der ja auch NRW-Ministerpräsident ist – beim Thema Sanktionen zögerlich bleibt. Er hatte sich jüngst im ZDF-Sommerinterview noch Bedenkzeit bis Herbst ausgebeten. Konflikte sind also bei der MPK am 10. August zu erwarten.

Spahn und Seehofer: Erweiterte Testpflichten für Reiserückkehrer geplant

Im Vorfeld der Ministerpräsidenten-Konferenz arbeitet die Regierung bereits an Vorgaben für mehr Tests, um Infektionen zu entdecken. Zum Schutz vor einer Corona-Ausbreitung nach den Sommerferien müssen sich Urlauber auf erweiterte Testpflichten bei der Rückkehr nach Deutschland gefasst machen. Die Bundesregierung stimmt derzeit eine vorgesehene Neuregelung ab, wie eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums am Dienstag sagte. Ressortchef Jens Spahn (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) streben eine schnelle Ausweitung der Testpflichten an – es gibt aber noch Diskussionen. Die Reisebranche rief Urlauber dazu auf, sich impfen zu lassen. Mit Blick auf den Herbst wollen mehrere Länder baldige Beratungen mit dem Bund.

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Eine generelle Testpflicht bei der Einreise besteht schon für alle Flugpassagiere. Der Nachweis eines negativen Ergebnisses muss noch im Urlaubsland gemacht und vor dem Start vorgezeigt werden - oder aber ein Nachweis als Genesener oder voll Geimpfter. Nach Vorstellungen Spahns und Seehofers sollte künftig grundsätzlich ein Test verlangt werden - egal, von wo und mit welchen Verkehrsmitteln man kommt. Wer weder geimpft ist noch eine Infektion hatte, müsste etwa auch einen Test machen, wenn er oder sie per Auto aus Polen kommt. Stationäre Grenzkontrollen sind aber dem Vernehmen nach nicht Teil des Konzepts.

Die Ministerpräsidentenkonferenz – Organ ohne Verfassungsrang

Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist kein Verfassungsorgan und kann daher nicht selbst über ihre Absprachen entscheiden. Das müssen dann im Anschluss die Länderparlamente regeln. Das Bundesinfektionsschutzgesetz gibt den Landesregierungen jedoch die Möglichkeit, eigene Corona-Verordnungen zu beschließen und hebelt so die Gesetzgebungskompetenz für die einzelnen Landtage aus – und damit auch die Kontrollfunktion der Parlamente, insbesondere der Oppositionsparteien.

Nicht nur Staatsrechtler wie etwa der ehemalige Bundesverteidigungsminister Professor Rupert Scholz oder Professor Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität stehen dieser Politik der Verordnungen skeptisch gegenüber. Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes wollte der Bundestag am 18. November letzten Jahres die Verordnungspolitik der Exekutive daher untermauern. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat dadurch ebenfalls mehr Macht bekommen.

Die Chefs der Staats- und Senatskanzleien bereiten die Treffen der MPK vor. Sie stützen sich in der Pandemie auf die Empfehlungen ihre wissenschaftlichen Beiräte, die jedes Bundesland mit ansässigen Experten bestückt hat. Die Manager der Landesregierungen stimmen sich dann eng mit Helge Braun (CDU) ab, dem Chef des Bundeskanzleramtes. Zudem gibt es Treffen der A- und B-Länder. Die A-Länder bestehen aus den von der SPD geführten Ländern und dem von der Linken regierten Thüringen. Die B-Länder sind die von den Unionsparteien geführten Länder und das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg.

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Die MPK vor Ostern scheiterte wegen der unterschiedlichen Interessen der Länder und dem Bund. Die Beteiligten gingen ohne Ergebnis auseinander. Die Bundesregierung änderte darauf hin das Infektionsschutzgesetz und beschloss die „Bundesnotbremse“. Als Beschlussgremium im Krisenfall hatte sich die MPK nicht bewährt.

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