Autor von brisanter Asyl-Studie räumt mit Mythen der rechten Trollfabriken auf

26.10.2021 09:40

Tausende Kommentare im Netz, hitzige Debatten, massive Hetze: Eine von FOCUS Online vorgestellte Studie zum Leben vieler Asylbewerber in Deutschland hat hohe Wellen geschlagen. Jetzt wehrt sich Studienautor Nikolai Huke gegen "Hasskampagnen" von rechts – und widerspricht der These, Zuwanderer würden "ständig nörgeln".

Unter der Überschrift „Asylbewerber in Deutschland klagen an: ‚Nicht einmal Tiere werden so behandelt‘“ hat FOCUS Online vergangene Woche eine politisch hochbrisante Studie vorgestellt. In der Untersuchung prangerten Migranten „menschenunwürdige Zustände“ in deutschen Großunterkünften an, die sie oft als „Gefängnis“ erlebten. Außerdem berichteten sie von „rassistischen“ Ärzten und Polizisten sowie gewalttätigen Sicherheitsdiensten.

  • Lesen Sie hier: Asylbewerber in Deutschland klagen an: "Nicht einmal Tiere werden so behandelt"

Die Interview-Aussagen führten in der Öffentlichkeit zu heftigen Kontroversen, auch in den Kommentarspalten bei FOCUS Online und in den sozialen Netzwerken. Tausende Beiträge gingen zu dem Artikel ein, darunter viele mit beleidigendem Inhalt und ehrverletzenden Äußerungen. Tenor: Wenn es Flüchtlingen in Deutschland nicht gefällt, sollen sie gefälligst in ihre Heimat zurückkehren.

Asyl-Studie auf FOCUS Online: Heftige Reaktionen im Netz

FOCUS Online hat mit dem Autor der Untersuchung gesprochen, die von Pro Asyl herausgegeben wurde: Nikolai Huke. Der 37-jährige Politikwissenschaftler von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel forscht seit Jahren zu den Themen Rassismus und Migration.

Im Gespräch mit unserer Redaktion verwahrte sich Huke dagegen, dass seine Studie missbraucht werde, um „Stimmung gegen Asylsuchende“ zu machen, etwa von der AfD. Zugleich bekräftigte er seine Kritik an den „erschreckenden“ Zuständen in Flüchtlingsunterkünften und nahm dort untergebrachte Menschen in Schutz: „Die Behauptung, dass sich Asylsuchende permanent beschweren, ist ebenso ein autoritär-populistischer Mythos wie die Behauptung, dass es unter ihnen eine besonders ausgeprägte Anspruchshaltung gibt.“

Autor Huke: "Es geht nicht um überzogene Beschwerden"

Hier das vollständige Interview mit Dr. Nikolai Huke:

FOCUS Online: Ihre Interview-Reihe mit Asylbewerbern hat in der Öffentlichkeit kontroverse Reaktionen ausgelöst – von Erstaunen über die offenkundigen Missstände in den Großunterkünften bis hin zur Empörung über das „Anspruchsdenken“ der Migranten. Haben Sie damit gerechnet, dass Ihre Studie benutzt wird, um Stimmung gegen Asylbewerber zu machen?

Nikolai Huke: Da ich schon seit längerem in der Flucht- und Migrationsforschung tätig bin und mich dabei auch intensiv mit autoritärem Populismus auseinandergesetzt habe, überrascht mich diese Dynamik eigentlich nicht. Autoritär-populistische und rechtsextreme Akteure nutzen soziale Medien sehr gezielt, um Stimmung gegen Asylsuchende – und diejenigen, die sie unterstützen – zu machen.

Beispiele hierfür sind Accounts der AfD oder auch der rechtsextreme Account „Hartes Geld“ auf Twitter, die sich auch in der Debatte um den FOCUS-Online-Artikel, der meine Studie vorstellt, zu Wort gemeldet haben. Um entsprechende Reaktionen einordnen zu können, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es sich dabei um eine Minderheit handelt, wenn auch eine sehr lautstarke.

Wie unter anderem das Institute for Strategic Dialogue in mehreren Studien gezeigt hat, spielen bei Hasskampagnen im Netz rechtsextreme Trollfabriken eine organisierende Rolle. Man sollte also vorsichtig damit sein, in der Empörung eine spontane Reaktion zu sehen. Der Hass war schon vorher da – und es sind tendenziell immer die gleichen, die sich entsprechend äußern.

 

Eine der härtesten Aussagen in Ihrer Untersuchung war: „Nicht einmal Tiere werden so behandelt“. Ist ein solcher - offensichtlich völlig überzogener - Satz nicht Wasser auf die Mühlen von Menschen, die Asylbewerbern ohnehin kritisch bis feindlich gegenüberstehen?

Huke: Um den Satz zu verstehen, lohnt es sich, sich zu vergegenwärtigen, in welcher Situation diejenigen waren, die ich interviewt habe: Mitten in einer Pandemie mussten sie in Flüchtlingsunterkünften unter Verhältnissen leben, in denen es weder möglich war, sich durch soziale Distanzierung zu schützen – etwa wegen Mehrbettzimmern und geteilten Sanitäreinrichtungen – noch grundlegende Hygieneregeln zu befolgen – etwa, weil Seife, Masken und Desinfektionsmittel fehlen.

Dass man in so einer Situation das Gefühl bekommt, nicht wie ein Mensch behandelt zu werden – und dem in zugespitzter Form Ausdruck verleiht, finde ich persönlich nachvollziehbar.

Ich halte die Täter-Opfer-Umkehr, die in der Frage mitschwingt, für falsch: Dass Menschen Asylsuchenden kritisch bis feindlich gegenüberstehen, hat in der Regel wenig mit konkreten Erfahrungen mit Asylsuchenden selbst oder deren Verhalten zu tun. Es sind nicht diejenigen, die von Rassismus betroffen sind, die für Rassismus verantwortlich sind, sondern diejenigen, die rassistisch agieren und ihre Einstellungsmuster gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

In den Augen nicht weniger Menschen bedient Ihre Studie offenbar Vorurteile und Klischees, wonach Asylbewerber „hofiert, bedient und ausgehalten werden“ wollen (ein Leser). Viele Menschen haben nach eigenem Bekunden kein Verständnis für die „permanenten Beschwerden“ von Asylsuchenden. Haben Sie mit Ihrer Untersuchung das Gegenteil dessen bewirkt, was Sie eigentlich wollten?

Huke: Die Behauptung, dass sich Asylsuchende permanent beschweren, ist ebenso ein autoritär-populistischer Mythos wie die Behauptung, dass es unter ihnen eine besonders ausgeprägte Anspruchshaltung gibt. Richtig ist vielmehr – und das zeigt auch meine Forschung – , dass sich Asylsuchende trotz ihrer teils sehr widrigen Lebensumstände nur sehr selten fordernd zu Wort melden. Die Angst, dass sich Kritik negativ auf das Asylverfahren auswirkt, ist bei vielen groß.

  • Lesen Sie hier: "Asyl-Notbremse": Mehrere Bundesländer ziehen Reißleine bei Flüchtlingsverteilung

Haben Sie Asylbewerber sogar in Gefahr gebracht, weil diese jetzt als permanent unzufrieden und ständig nörgelnd dastehen?

Huke: Ich glaube nicht, dass meine Studie Anschauungsmaterial dafür liefert, dass Asylbewerber „permanent unzufrieden“ sind oder „ständig nörgeln“. Die Interviews zeichnen ein in vielerlei Hinsicht wirklich erschreckendes Bild der Lebensumstände in Flüchtlingsunterkünften.

Die beschriebenen Probleme reichen von Rassismus, unzureichender medizinischer Versorgung, Lärmbelastung und fehlender Privatsphäre bis hin zu traumatischen Erfahrungen aufgrund von Abschiebungen und Security-Gewalt. Das sind ja alles sehr begründete und ernsthafte Kritikpunkte.

Es geht hier nicht um überzogene Beschwerden, sondern um das Einfordern grundlegender Menschenrechte. Die Beispiele, die von den Interviewten genannt werden, sind teilweise wirklich krass. Mit Nörgeln hat das nichts zu tun. Das entsprechend abzutun, offenbart ein gehöriges Ausmaß an Empathielosigkeit und ein fragwürdiges Verhältnis zur grundgesetzlich verbrieften Unantastbarkeit der Menschenwürde.

In einigen Interviews erheben Asylbewerber schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Unterkünften, aber auch gegen Polizisten und Ärzte. Da ist von sexueller Belästigung die Rede, von unterlassener Hilfeleistung, von Machtmissbrauch und Rassismus. Sind Sie diesen Vorwürfen nachgegangen oder wurden Strafanzeigen erstattet?

Huke: In einigen Fällen gab es Strafanzeigen durch die Betroffenen. Gegen Unrechtserfahrungen vorzugehen, ist für Asylsuchende jedoch häufig schwierig, unter anderem weil die Polizei – so Berichte in den Interviews – Schilderungen von Securities und Personal unhinterfragt Glauben schenkt und die Erfahrungen der Asylsuchenden teilweise nicht ernst nimmt. Die Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt oder rassistischer Diskriminierung ist auch gesamtgesellschaftlich sehr hoch, nur ein Bruchteil der Fälle wird zur Anzeige gebracht.

Haben sich Verantwortliche aus den Asylbewerber-Unterkünften, Migrationsbeauftragte oder Politiker bei Ihnen gemeldet und möglicherweise Verbesserungen angekündigt?

Huke: Bisher nicht.

Erwarten Sie, dass sich an der Unterbringungs-Situation zeitnah etwas ändert, gerade vor dem Hintergrund wieder steigender Asylbewerber-Zahlen?

Huke: Dass sich rasch etwas zum Positiven verändert, erwarte ich leider nicht. Notwendig wäre es aber.

Quelle