Aus für Münze und Einkaufs-Chip Aldi, Rewe, Lidl & Co.: Wie werden Einkaufswagen zukünftig entsperrt?

03.03.2021 09:36

Jetzt zu Zeiten der Pandemie haben Einkaufswagen an zusätzlicher Bedeutung gewonnen. Anhand der vorhandenen Wagen machen viele Supermärkte die Zahl der zugelassenen Kunden im Laden fest. Statt mit Münze sollen die Einkaufshelfer bald anders entsperrt werden können.

Mitte der 1930er Jahre stellte Sylvan Goldman, ein Geschäftsmann aus Oklahoma City den weltweit ersten Einkaufswagen in seinen "Humpty Dubty"-Selbstbedienungsshop. Er bezeichnete seine damalige Idee als eine "Kombination aus Wagen und Korb". Ein Jahrzehnt später meldete eine US-Zeichnerin, die damals 57-jährige Orla Watson die Patentrechte an dem Einkaufswagen an.

In Deutschland war es Rudolf Wanzl, der die Idee weiterentwickelte und die ersten Einkaufswagen für Händler in seiner Wagenbauerei im schwäbischen Leipheim fertigte. Das war im Jahr 1948.

Das Unternehmen baut in mehreren Fertigungsstätten im Ort noch heute Einkaufswagen, die weltweit verkauft werden. Zu den Großkunden zählen Aldi Süd, Aldi Nord, Lidl, Netto Marken-Discount, Carrefour, Ikea oder der US-Riese Walmart. Das Logo "Wanzl" prangt auf nahezu allen Einkaufswagen, die hier produziert werden.

Das rollende Fabrikat "made in Germany" sei weltweit angesehen und beliebt, weil es besonders robust und langlebig sei, erzählen die Mitarbeiter. Unsere Redaktion durfte exklusiv hinter die Kulissen des Konzerns blicken.

Einkaufswagen helfen dabei, dass Kunden ihre Lebensmittel und Einkäufe leicht vom Regal zur Kasse oder zum Auto bringen können. Fehlt ein Einkaufswagen, kaufen Kunden auch weniger ein.

Die Einkaufswagen-Experten blicken in ihrem Werk auch deshalb in die Zukunft. Verbraucher und Händler suchen nach digitalen Lösungen, um das Einkaufen einfacher zu machen.

Im Fokus steht dabei auch das Pfandschloss des Einkaufswagens. Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Funktionalität und das Aussehen kaum verändert. Das könnte sich nun schlagartig ändern.

Eingeführt wurde das Pfandsystem deshalb, weil immer mehr Einkaufswagen abhanden kamen oder verloren gingen. Kunden, die in der Nähe einer Supermarkt-Filiale wohnten, waren es nämlich gewohnt, den Einkaufswagen bis nach Hause zu schieben.

Mitarbeiter wurden früher extra dafür eingestellt, um die Kaufhilfen einzusammeln. Diese fanden sie dann auf Gehwegen, Parkflächen, in Vorhöfen und Gärten wieder. Als das Pfandschloss eingeführt wurde und sich dieses Konzept flächendeckend durchsetzte, ging der Trend deutlich zurück.

Kunden erhielten einerseits ihr Geld zurück, andererseits wurde ihnen dadurch indirekt deutlich gemacht, dass sie den Einkaufswagen zurückbringen müssen. Das Pfandschloss hat also nicht nur einen finanziellen, sondern auch einen psychologischen Effekt.

Nun gehen die Hersteller einen Schritt weiter. Wanzl arbeitet seit Jahren am Smart-Trolley, dem digitalen Einkaufswagen. Kunden können ihn per Smartphone oder Smartwatch entriegeln. Klassische Münzen oder Chips werden damit überflüssig.

Um den Einkaufswagen entsperren zu können, laden Kunden die App des Supermarkts auf ihr Smartphone, halten die Geräte über das Pfandschloss und können per NFC- oder Bluetooth-Signal den Einkaufswagen entsperren.

Die Technik scheint bereits marktreif zu sein. Bei einem CHIP-Alltagstest funktionierte das digitale Entsperren reibungslos. 

Wanzl baut nicht nur die Technik dafür, sondern entwickelt auch die nötige Software. Sie lässt sich in jede Supermarkt-App integrieren. 

Kunden sammeln mit Shopping-Tools bereits Erfahrungen. Millionenfach wurden Apps von Edeka, Netto Marken-Discount, Lidl, Penny, Rewe, Real oder Aldi heruntergeladen. Für Verbraucher sei die Umstellung von Münze zu Smartphone somit kinderleicht.

MANUELLE ENTSPERRUNG SOLL WEITERHIN MÖGLICH BLEIBEN

Trotz der Euphorie gibt es auch Bedenken. Obwohl sich Kunden mit Shopping-Apps insgesamt auskennen, sollen sie beim Einkaufen auch weiterhin mit Münze oder Chip ihren Einkaufswagen aus der Halterung ziehen können. Besonders ältere Menschen würden das klassische Pfandschloss noch brauchen. Sie kommen mit den digitalen Lösungen am wenigsten klar.

"Wir wollen mit Testphasen erste Markterfahrungen sammeln und schauen, wie das insgesamt ankommt", erklärt ein Mitarbeiter. Es gehe dabei darum, das Einkaufen leichter und zu einem Erlebnis zu machen.

Das Unternehmen ist sich sicher, dass es noch ein paar Jahre dauern werde, ehe der digitale Einkaufswagen sich flächendeckend ausbreitet. Die hohe Kosten für Technik und Software könnten Händler noch abschrecken.

Doch solche digitalen Lösungen werden insgesamt immer günstiger und damit auch lukrativer für Händler. Zugleich befindet sich die Branche in einem digitalen Umbruch.

Es werden immer mehr Filialen modernisiert und die Arbeitsprozesse so optimiert, dass Smartphones und andere Smartgeräte für Mitarbeiter essentiell werden.

Supermarkt- und Discounter-Riesen wie Netto Marken-Discount oder Edeka testen bereits Self-Scan-Konzepte. Mit dem Schraubenriesen Wuerth hat Wanzl heute bereits die ersten digitalen 24-Stunden-Shops in Betrieb genommen.

Kunden betreten den Laden mit ihrer Kundenkarte und werden dadurch automatisch registriert. Sie können dann durch die Gänge schlendern und einkaufen. Am Ende müssen sie die Produkte auf eine Art Kassenschleuse legen. Dort erkennt das automatisierte System, das Produkt und die eingekaufte Stückzahl. Mitarbeiter unterstützen lediglich bei Fehlern und Problemen. Die Rechnungssumme wird am Ende automatisch per Bankeinzug oder Kreditkarte abgebucht.

PANDEMIE TREIBT DIGITALISIERUNG WEITER VORAN

"Die Branche denkt sehr digitalfokussiert." Der Einkaufswagen mit digitalem Pfandschloss werde sich sicher auch in den Köpfen der Verbraucher durchsetzen, heißt es bei Wanzl.

Befeuert wird das möglicherweise auch durch die Corona-Krise. Studien zeigen, dass immer weniger Menschen mit Bargeld im Supermarkt bezahlen. An der Kasse zücken Verbraucher auch bei Kleinbeträgen die Bankkarte aus der Hosentasche oder halten ihr Smartphone vor das Kartenlesegerät.

Für Bargeldzahler wird es parallel schwererer, überhaupt an frische Geldscheine zu kommen. Banken schließen in ländlichen Regionen Filialen und ziehen dabei aus Kostengründen auch Bankautomaten ab. In den Supermärkten können Verbraucher zwar Bargeld abheben, aber sie müssen dabei ihre Einkäufe zunächst mit Karte bezahlen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Chip.de.

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