367 Prozent teurer! Lebensmittel-Preise explodieren – in erstem Land gibt es Plünderungen

17.09.2021 09:21

Lebensmittel kosten heute weltweit im Schnitt rund ein Viertel mehr als noch vor einem Jahr. Das bekommen vor allem Menschen in Entwicklungsländern zu spüren. Doch nicht nur dort greifen Regierungen mittlerweile ein, um Preise zu senken. Viele haben schreckliche Erinnerungen an vorige Krisen.

2019 gingen hunderttausende Inder landesweit auf die Straße und protestierten. Der Grund: Der Preis für Zwiebeln war zuvor um das Dreifache gestiegen. Ein Kilogramm kostete rund die Hälfte des Lohns eines Tagelöhners. Was für den wohlhabendenden Deutschen lustig klingt, versetzte indische Politiker in Angst. Zwiebel-Krisen hatten zuvor schon Regierungen auf dem Subkontinent zu Fall gebracht, Regierungschef Narendra Modi musste eingreifen.

2010 zündete sich in einer tunesischen Kleinstadt der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst an und starb wenige Wochen später im Krankenhaus. Zwar protestierte er damit gegen polizeiliche Willkür an seinem Gemüsestand, doch sein Selbstmord löste eine Protestwelle gegen die Regierung aus, die sich schnell gegen die allgemein gestiegenen Lebensmittelpreise richtete. Nur zehn Tage nach Bouazizis Tod im Januar 2011 flüchtete Staatspräsident Zine el-Abidine Ben Ali aus dem Land.

Die Protestwelle hatte da schon andere Länder erfasst. Sie bekam später den Namen „Arabischer Frühling“ und löste in 17 Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens Aufstände und Unruhen aus, bei denen teilweise jahrzehntelange Regime gekippt wurden. In manchen Ländern wie Syrien dauert der dadurch ausgelöste Bürgerkrieg bis heute an.

811 Millionen Menschen sind unterernährt

Dies sind mahnende Beispiele für Regierungen weltweit, steigende Lebensmittelpreise nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Angst ist groß, dass sich Geschichte zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling wiederholen könnte. Denn die Preise für Getreide, Gemüse, Obst und Fleisch steigen rasant. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass Lebensmittel heute im Schnitt 24 Prozent mehr kosten als noch vor einem Jahr. So stark stiegen sie seit 2008 nicht mehr, womit sie jetzt auf dem höchsten Level seit 2011 liegen.

Und mit den Preisen steigt der Anteil derer, die sich das nicht leisten können. Verschiedene UN-Organisationen meldeten in einer gemeinsamen Auswertung im Juli, dass sich die Zahl der Hungernden weltweit drastisch erhöht hat. 811 Millionen Menschen, rund ein Zehntel der Weltbevölkerung, gelten als unterernährt, 150 Millionen mehr als noch ein Jahr zuvor. Der Plan, Unterernährung bis 2030 auszurotten, ist in weite Ferne gerückt.

Am stärksten sind Entwicklungsländer von den steigenden Preisen betroffen. Nach einer Statistik der der FAO sind die Preise im Libanon (plus 367 Prozent) und Sudan (plus 146 Prozent) seit vergangenem August am stärksten gestiegen. Es folgen 42 weitere Entwicklungsländer, bevor sich mit Australien (plus 8,3 Prozent) der erste entwickelte Staat auf der Liste findet. Deutschland wird auf Platz 169 mit plus 0,6 Prozent geführt. Das Statistische Bundesamt gibt die Teuerung für Nahrungsmittel aktuell mit 4,6 Prozent an. Die Differenz liegt an unterschiedlichen Warenkörben, die für die Ermittlung benutzt werden. Die Grundaussage bleibt aber gleich: Am globalen Durchschnitt gemessen steigen die Lebensmittelpreise in Deutschland deutlich schwächer.

Staaten greifen bei Preisen ein

Deswegen muss die Bundesregierung im Gegensatz zu anderen Staaten auch nicht in die Preisgestaltung eingreifen. Denn die ersten Protestwellen laufen bereits. In Südafrika wurden im Juni Supermärkte geplündert, in Kuba gab es die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten auf Grund einer Lebensmittelknappheit.

In Tunesien griff die Regierung im Sommer mit Appellen an die Industrie ein, die dem Aufruf folgte. Die Preise für Fleisch fielen um rund zehn Prozent, für Früchte um 20 Prozent. Auch für Getreide, Milchprodukte und Softdrinks wurden noch nicht bestimmte Preissenkungen angekündigt. Allerdings müssen viele Länder Nordafrikas sparen. Bestehende Lebensmittelsubventionen könnten dafür gekürzt werden und nur noch den Ärmsten im Lande zugutekommen.

In Indien gab die Regierung zuletzt rund 7,3 Milliarden Euro aus, um mehr als 20 Millionen Tonnen Reis und Weizen kostenlos in der Bevölkerung zu verteilen. Rumänien plant ein 760 Millionen Euro schweres Programm, um unabhängiger von Getreide-Importen zu werden. Die Türkei droht Geschäften, die überhöhte Preise verlangen, mit empfindlichen Strafen. Russland, größter Getreide-Exporteur der Welt, hat im Februar bereits eine Steuer auf Ausfuhren verhängt, damit mehr Getreide im Land für die eigene Bevölkerung verbleibt. In Südostasien hatten schon vergangenes Jahr Länder wie Vietnam ihre Reis-Exporte gekürzt. Selbst in den USA greift die Regierung ein. Präsident Joe Biden weitete das Food-Stamps-Programm massiv aus, mit dem sich ärmere Bürger subventionierte Lebensmittel kaufen können.

Schon jetzt ist klar, dass die Anstrengungen nicht reichen werden: Zwar war es im vergangenen Jahr vor allem die Corona-Pandemie, die die Preise trieb, doch neue Probleme stehen schon vor der Tür. Denn immer extremere Klimaereignisse bringen auch die Ernten immer mehr durcheinander. In Brasilien war es dieses Jahr erst eine Dürre, dann Frost, der Pflanzen vernichtete. In China gab es Überflutungen, im Mittelmeerraum Waldbrände und in den USA erst Schneestürme, dann eine monatelange Dürrephase.

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